USA Kalifornien


Es fehlte noch ein "kleines" Zwischenstück. Im Sommer 2010 war ich bereits entlang der nordamerikanischen Pacific Coast von Seattle nach San Francisco gefahren (1.318 km). Im Winter 2014 dann von San Diego nach La Paz in Mexiko (1.260 km). Nun also - im Herbst 2017 - der "missing link": von San Francisco nach San Diego.

Meine Route: Von der "Fog City" San Francisco über die Bucht von Monterey nach Big Sur, der "Traumküste Kaliforniens". Weiter über die Studentenstadt San Luis Obispo und die Promi-Enklave Santa Barbara in die Megalopolis Los Angeles. Und schließlich zu einer der schönsten Städte der USA, nach San Diego. Strecke: 1.143 km. Höhenmeter: 10.005 m.

Da ich mir San Franciso bereits 2010 ausführlich angeschaut habe, starte ich etwas südlich der Stadt, nicht weit vom Flughafen entfernt: am Point Montara Lighthouse Hostel, einer wunderschön gelegenen Jugendherberge. Noch hängen Nebelschwaden in der Luft ...

Das aber ändert sich schon nach wenigen Meilen. Die erste Tagesetappe wartet mit einer erstaunlich unberührten Küste auf, fast wie in Oregon oder Nordkalifornien. Kaum zu glauben, dass das Silicon Valley hier nur einen Steinwurf entfernt ist.

Abends am Ortseingang von Santa Cruz. Fahrradgepäckträgern wie diesen begegnet man hier zuhauf. In Kalifornien ist nicht das Radfahren, sondern das Surfen der Volkssport Nummer Eins. Aber die Mehrheitsverhältnisse ändern sich allmählich. Auf keiner anderen USA-Tour sind mir so viele Radfahrer begegnet wie auf dieser.

Im Hinterland der Monterey Bay breiten sich die Obst- und Gemüsegärten Kaliforniens aus. Aufgrund des milden Klimas können sie nahezu das ganze Jahr über angebaut werden: Erdbeeren, Orangen, Trauben, Zwiebeln, Broccoli, Artischocken ... Allein der Slogan "From Our Family To Yours" will nicht so ganz passen: die Ernte wird fast ausschließlich von Billiglohnarbeitern aus Mexiko eingefahren.

Monterey. Das ist vor allem die "Cannary Row", die der großartige John Steinbeck (mein us-amerikanischer Lieblingsautor) mit seinem gleichnamigen Roman (dt. "Die Straße der Ölsardinen")  unvergesslich gemacht hat. Reihte sich  hier früher eine Ölsardinenfabrik an die andere, so sind es heute teure Restaurants und Bars. 

Monterey - das ist auch ein gigantisches Aquarium, das weltweit seinesgleichen sucht. Der Eintritt ist mit 50 $ ganz schön happig. Aber ich habe Glück: Die Dame am Einlass ist deutschstämmig und hat ein Herz für Radfahrer. Sie schenkt mir den Besuch einfach.

"The Lone Cypress" - die einsame Zypresse. Nur einer von vielen Ausblicken entlang des  "17-Mile-Drive", der das schicke Monterey mit dem noch schickeren Carmel-by-the-Sea verbindet. Im Hinterland die schönsten Villen und Golfplätze. 

Carmel-by-the-Sea: früher Künstlerkolonie, heute einer der mondänsten Orte der USA (Brad Pitt und Jennifer Aniston haben hier ein Häuschen, Clint Eastwood wurde 1986 gar zum Bürgermeister gewählt). Der Ort geht auf eine der insgesamt 21 Franziskanermissionen zurück, durch die das heutige Kalifornien entstanden ist. Die meisten von ihnen hat der im September 2015 heilig gesprochene  Spanier Junípero Serra gegründet: San Francisco, Santa Barbara, Los Angeles, San Diego ... Hier in Carmel befindet sich sein Grab.

Es wird abenteuerlich! Der vor mir liegende Küstenabschnitt ist an gleich drei Stellen unpassierbar. Schuld daran sind drei gewaltige Erdrutsche. Zwei von ihnen haben die Küstenstraße ins Meer gerissen, der dritte hat eine Brücke zerstört. Doch es gibt eine Lösung - zumindest für Radfahrer.

Zunächst noch zeigt sich Big Sur von seiner schönsten Seite. Kaum ein Auto ist unterwegs, die Sonne scheint, kein Lüftchen weht. Doch dann, kurz vor der eingestürzten Pfeiffer Bridge, ist die Straße dann gesperrt und es geht für Autos gar nicht und für Fußgänger und Radfahrer nur noch ...

... auf einem eigens für die Brückenbauarbeiter angelegten "bypass trail" weiter. In einem Radreise-Blog hatte ich dazu gelesen: "It's not an easy walk at all. The trail is a mile long and has a 600 feet elevation gain." Und das mit einem voll bepackten Rad? Das Bild zeigt: es geht! Gemeinsam mit zwei britischen Radlern gelingt es, die schwer beladenen Räder den steilen Pfad hinauf zu stemmen.

Diese beiden Rennradler hatten es da wesentlich leichter. Doch der Lohn der Mühe ist groß: über 50 Kilometer ohne jeden Auto- und Wohnmobilverkehr! Und das auf einem Küstenabschnitt, an dem sich in der Hochsaison mitunter sogar Staus bilden. Das gibt es nur alle paar Jahrzehnte! (Die letzte erdrutschbedingte Straßensperrung war im Jahr 1983.)

Die beiden anderen Erdrutsche erfordern einen deutlich größeren Umweg. Ich muss die Küste für etwa 200 km verlassen und mich auf kleinen Backcountry Roads durch das Küstengebirge wühlen. Gleich der erste Anstieg hat es in sich: von 10 auf 850 m bei einer Steigung von durchschnittlich 12 Prozent.

Aber auch dieser Umweg lohnt. Er führt mich zur "Mission San Antonio de Padua", die ich sonst sicher nicht besucht hätte. Sie ist die abgelegenste der 21 kalifornischen Missionen. Eine der wenigen, aus der keine Stadt entstanden ist. Das Bistum Monterey nutzt sie als "Retreat Center" (Exerzitienhaus). Und so komme ich an diesem Tag ...

... zu meiner bislang schönsten Unterkunft. Nein, nicht wegen dieser kargen Zelle, sondern weil ich über Nacht die gesamte Mission für mich alleine habe: die Kirche, den Kreuzgang, das Refektorium. Die Dame, die sie tagsüber betreut, wohnt etwa 30 Kilometer entfernt und überlässt mir den Generalschlüssel.

Zwei Tage später bin ich in San Luis Obispo. Am Rande der Stadt frisst sich ein Buschfeuer durch die Berge. Doch kaum jemand nimmt Notiz davon. Solch "kleine" Brände scheinen hier nichts Besonderes zu sein. Wie anders sieht es da zur selben Zeit im Norden Kaliforniens aus: 700 Quadratkilometer brennende Fläche, 20.000 Evakuierte, 463 Vermisste, 60 Tote ...

Auf einmal scheine ich in Dänemark zu sein. Nicht nur der Ortsname "Solvang" deutet darauf hin, auch der durchgängig dänische Fachwerkhausstil, ein "Hans Christian Andersen Museum", ein "Red Viking Restaurant" und eine "Danish Mill Bakery". Die 5000-Einwohner-Stadt wurde 1911 von einer Gruppe dänischer Pädagogen gegründet und gilt heute als Touristenattraktion.

Eine Tagesetappe weiter: Santa Barbara. Der mediterran anmutende Promiwohnort wird gerne auch als "Hauptstadt der amerikanischen Riviera" bezeichnet. Kirk Douglas und Oprah Winfrey sind hier zuhause.

Wie in vielen anderen us-amerikanischen Städten wird auch in Santa Barbara das "Original German Oktoberfest" zelebriert. Hier sogar mit einem Bier aus Weihenstephan.

Die "amerikanische Riviera". Genußradeln pur ...

In Carpinteria lerne ich die Schweizer Manja und Martin kennen. Sie haben etwas mehr Zeit als ich und sind von Alaska nach Argentinien unterwegs. Wir verbringen zwei schöne Abende miteinander. In ihrem Blog beschreiben sie unsere Begegnung.

Santa Monica. Hier am Pier endet die legendäre Route 66. Für mich beginnt ein spannender Abstecher in die Megalopolis Los Angeles.

Erste Station: Hollywood. Genauer: der Hollywood Boulevard mit dem berühmten "Walk of Fame", dem Premierenkino "Chinese Theatre" und dem 3.400 Sitzplätze fassenden "Dolby Theatre", in dem seit 2002 die "Oscars" (Acadamy Awards) verliehen werden. Ähnlich wie die Reeperbahn in Hamburg lebt der Hollywood Boulevard heute vor allem vom Glanz vergangener Tage.

Zweite Station: die "Warner Bros. Studios". Filmklassiker wie "Jenseits von Eden" mit James Dean, moderne Kinofilme wie "La La Land" oder "Batman vs. Superman" und TV-Serien wie "Two and a Half Men" oder "The Big Bang Theory" wurden bzw. werden hier produziert.

Dritte Station: Los Angeles Downtown. Eher enttäuschend. Zumindest für den, der New York, Chicago oder San Francisco gesehen hat. Ein paar Wolkenkratzer halt. Wirklich sehenswert sind lediglich die von Frank Gehry entworfene "Walt Disney Concert Hall" und die moderne, erst im Jahr 2002 geweihte Kathedrale "Our Lady of the Angels".

Die Küste hat mich wieder. Über Venice Beach (aufgrund der vielen Bodybuilder, die hier am Strand trainieren, auch "Muscle Beach" genannt) und Long Beach (dem zweitgrößten Hafen der USA, in dem u.a. eine zum Hotel umgebaute "Queen Mary" liegt) verlasse ich nach vier Tagen den Großraum Los Angeles.

Auf dem letzten Streckenabschnitt reiht sich ein mondäner Ort an den anderen. Schicke Villen mit einer kleinen Yacht vor der Haustür scheinen hier nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel zu sein.

Dazu ein "Beachlife at its best": Basketball, Beach-Volleyball, Skating, Slacklining, Bodybuilding ... überall wird der ultimative "Beachbody" geformt.

... natürlich auch beim Surfen. David Hasselhoff und Pamela Anderson passen auf, dass nichts passiert. ;-)

San Diego. Was für eine Skyline! Und was die Stadt nicht alles zu bieten hat: das angenehmste Klima des ganzen Landes, eine traumhaft schöne Harborfront, einen der besten Zoos der Welt, die älteste der 21 kalifornischen Missionen, eine historische Old Town, eine aufgeräumte Downtown, das Kneipenviertel Gaslamp Quarter, das berühmte Hotel del Coronado, in dem 1958 der Kinoklassiker "Manche mögen's heiß" mit Marilyn Monroe, Jack Lemon und Tony Curtis gedreht wurde ...

... und nicht zuletzt: die USS Midway. Der 1945 gebaute und bis 1992 genutzte Flugzeugträger liegt seit 2004 als Museumsschiff an der Harborfront. Im Hintergrund der noch im Dienst befindliche Flugzeugträger USS Ronald Reagan. Die Bucht von San Diego ist die größte Marinebasis der USA, Hauptsitz der Pazifikflotte und Heimat der Spezialeinheit "Navy Seals".

Über die Schönheit dieses letzten Bildes, aufgenommen am Abend vor meinem Heimflug, könnte man fast vergessen, dass hier Tausende toter Soldaten begraben liegen. Auf mich wirkt es wie ein Sinnbild: für ein wunderschönes, aber auch sehr widersprüchliches Land.

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