Norwegen I




Sommer 1990. Damals waren weiße Tennissocken noch chic. Mein Rad hatte nur drei Gänge und die Packtaschen waren noch nicht wasserdicht. Da bin ich gemeinsam mit Alex durch das Land der Stabkirchen und der Fjorde gefahren. Fünf Wochen lang. So viel Zeit hatten wir damals ...



Unsere Route: von der Hafenstadt Bergen durch die südnorwegische Fjord- und Hochgebirgslandschaft zur alten Bischofsstadt Trondheim, von dort auf der E6 zum Polarkreis hinauf und schließlich über die Lofoten nach Narvik. Strecke: 1.818 km. Höhenmeter: ca. 20.000 m.




Bergen. Die regenreichste Stadt Europas. Uns präsentiert sie sich in herrlichstem Sonnenschein. Wir sind mit dem Rad von Gelsenkirchen nach Amsterdam gefahren und von dort mit der MS Venus bis hierher.







Der Sørfjorden bringt uns ins Landesinnere. Noch mutet die Landschaft recht lieblich an. Das aber ändert sich schon bald.






Bereits von unserem zweiten Lagerplatz aus sind die ersten Schneefelder zu sehen. Am nächsten Tag geht es aufs Fjell hinauf. So nennt man in Norwegen Hochflächen, die oberhalb der Baumgrenze liegen.





Die Hardangervidda, das größte Fjell Norwegens. Hier liegt der kleine Ort Finse. Zu erreichen ist er nur mit der Eisenbahn. Deshalb verladen wir unsere Räder für ein paar Kilometer in den Zug. Hier oben, auf 1.222 m Höhe herrschen noch winterliche Bedingungen. Das hält uns jedoch nicht davon ab unser Zelt aufzuschlagen und zwei herrliche Wanderungen zu unternehmen.




Verlassen wollen wir Finse dann mit dem Rad. Auf dem sog. Rallarvegen, einem Versorgungsweg, der parallel zur (im Hintergrund erkennbaren) Eisenbahnlinie verläuft. Das sei schon möglich, wurde uns gesagt. Wir müssten nur mit "etwas" Altschnee rechnen. Die 29 Kilometer, die wir an diesem Tag schaffen, werden uns als die härtesten Radkilometer überhaupt in Erinnerung bleiben.







Denn der Rallarvegen ist dermaßen zugeschneit, dass wir immer wieder nach einem passierbaren Weg suchen müssen. Hier wuchten wir unsere Räder gerade eine steile Bergflanke hinauf. Das Foto übrigens hat Therese gemacht. Eine Norwegerin, die sich gemeinsam mit uns auf das Wagnis eingelassen hat.




Dann endlich, nach 12 Stunden härtester Arbeit und einer Hüttenübernachtung ist der Weg wieder zu sehen. Wir verlassen die Hardangervidda und stürzen uns ins Flåmsdalen hinab.



Der Rallarvegen fällt hier binnen weniger Kilometer von 1.343 m auf Meeresniveau ab. Dabei hat er ein Gefälle von bis zu 18 %. Das Thermometer klettert derweil von winterlichen 6 °C auf sommerliche 25 °C hinauf. 




Wir haben den Aurlandsfjord erreicht, einen Seitenarm des mächtigen Sognefjords. Hier geht es nur mit einer Fähre weiter.




Vom Fjord dann wieder hinauf ins Gebirge. Nach Jotunheimen, ins "Heim der Riesen". Hier sind die höchsten Berge Norwegens und ganz Skandinaviens zuhause.




Auf dieser anstrengenden Etappe lernen wir Arne kennen. Er hat bereits ein Mountainbike, während wir uns noch mit einer 3-Gang-Schaltung den Berg hinauf quälen.





Aber wir haben es alle Drei geschafft. Noch ein paar weitere Höhenmeter und wir sind am Fantestein, auf dem höchsten Gebirgspass Nordeuropas.




Hier oben sind die Altschneefelder zum Teil noch mehrere Meter hoch. Im Hintergrund die beiden höchsten Berge Norwegens: der Glittertind (2.464 m) und der Galdhøpiggen (2.469 m).



Hier müssen wir einfach einen Tag bleiben und eine Wanderung unternehmen. Da passt es gut, dass gleich am nächsten Tag eine geführte Gletschertour angeboten wird. Steigeisen und Gurte können wir ausleihen.





Die etwa achtstündige Wanderung führt durch eine nahezu unberührte Natur. Nur die Spur unserer Seilschaft ist im Vordergrund zu erkennen.




Am Tag darauf kehren wir wieder in den Sommer zurück. Wir fahren hinunter nach Lom und dann das Ottadalen hinauf. - Ja, genau: der junge Mann auf dem Felsvorsprung, das bin ich.




Es ist der letzte Abend mit Arne. Am nächsten Morgen trennen sich unsere Wege wieder. Arne fährt in Richtung Stryn, wir wollen weiter zum Geiranger.





Ganz hinten ist er bereits zu sehen: der König unter den norwegischen Fjorden.




Diesen Titel hat sich der Geiranger redlich verdient. Denn er ist wirklich wunderschön. Aber auch ziemlich anstrengend. Von 1.038 m geht es auf 0 m hinunter und sofort wieder auf 620 m hinauf. Aber die Mühe wird belohnt: mit spektakulären Aussichten.




Von Trondheim haben wir seltsamerweise gar kein Bild gemacht. Dabei ist die alte Bischofsstadt durchaus sehenswert. Erst etwas weiter nördlich ist die Kamera wieder zum Einsatz gekommen. 703 Kilometer sind es nun noch bis Narvik - auf direktem Wege. Wir aber wollen ja noch einen Abstecher zu den Lofoten machen.





Die nächsten 500 km sind schnell zusammengefasst: Regen, Regen, Regen. Fünf Tage lang schüttet es ununterbrochen. Von unserer Stimmung in diesen Tagen schreibe ich mal besser nicht.



Aber selbst auf diesem Streckenabschnitt gibt es schöne Erlebnisse. Hier zum Beispiel lässt uns eine Familie im Gartenhäuschen der kleinen Tochter übernachten. So lustig das aussieht: wir haben endlich mal wieder ein festes Quartier und können unsere durchnässten Sachen trocknen lassen.




Dann endlich schließt der Himmel seine Schleusen. Die "Europastraße 6" ist mittlerweile nur noch eine schmale Landstraße.

Wir sammeln noch einmal kräftig Höhenmeter, dann haben wir ihn erreicht: den Polarkreis. Jene unsichtbare Linie, die sich einmal um den kompletten Globus zieht und die gemäßigte von der polaren Klimazone trennt. Am Tag der Sommersonnenwende geht die Sonne hier nicht unter, am Tag der Wintersonnenwende geht sie nicht auf.

Bis vor wenigen Wochen war diese magische Linie nur an dem rechts abgebildeten Gedenkstein zu erkennen. Dann wurde das "Polarkreiszentrum" eröffnet. Ein futuristisch anmutender Bau mit Kino, Poststelle, Cafeteria und Souvernirladen. Und mit einem großen Busparkplatz natürlich.

Zum Glück sind noch nicht allzu viele Touristen vor Ort. Die wenigen, die am Straßenrand stehen, schauen uns ungläubig an. Einige beginnen zu applau-dieren. Andere klopfen uns auf die Schulter. Wir haben es tat-sächlich geschafft: wir sind mit dem Fahrrad bis in die Arktis vorgedrungen!

Zwei Tage später geht es auf die Lofoten. Dazu müssen wir den Vestfjorden, eine ziemlich raue Meeresenge überwinden. Entsprechend ungemütlich wird die Überfahrt. Nahezu alle Passagiere stehen an der Reling und versuchen sich so zu übergeben, das kein anderer zu Schaden kommt.








Geschwächt, aber glücklich erreichen wir Reine. Das 300-Einwohner-Dorf ist eine der größeren Siedlungen auf der entlegenen Inselgruppe.




Im Nusfjord gibt es noch ein paar wunderschöne Robuer. Das sind Fischerhütten, die nur im Winter genutzt werden, wenn der Dorsch an den Lofoten vorbeizieht - großartig beschrieben in Johan Bojers Roman "Die Lofotfischer". Im Sommer werden sie zum Teil an Touristen vermietet.



Von den Lofoten wieder zurück ans Festland. Diesmal verläuft die Überfahrt wesentlich ruhiger.




Nur 120 Kilometer sind es jetzt noch bis Narvik. Die Landschaft wird noch einmal wunderschön. Und auch das Wetter zeigt sich noch mal von seiner besten Seite.

Dann haben wir das Ziel unserer Reise erreicht. Von Narvik sind es nur noch 739 km bis zum Nordkap. Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht auf einer nächsten Tour schafften. Selbst bis zum Nordpol sind es nur noch 2.420 km. Aber da man mit dem Fahrrad ja bekanntlich nicht über Wasser fahren kann, wird dieses Ziel wohl unerreichbar für uns bleiben.

Bei den älteren Bewohnern Narviks haben wir Deutschen keinen guten Ruf, weil sie von 1940 bis 1945 unter der Knute der Deutschen Wehrmacht leben mussten. Denn die hielt Narvik besetzt, um an das Eisenerz der schwedischen Grube Kiruna zu kommen, das in Narvik verschifft wurde und für die deutsche Kriegsindustrie von allergrößter Bedeutung war. Umso beein-druckender, dass wir gleich mehrmals den Satz "Ihr aber seid eine neue Generation" zu hören bekommen.

Über Kiruna treten wir denn auch unsere Heimreise an. Mit dem Zug. Die Fahrt durch Schwedisch Lappland, Stockholm und Kopen-hagen dauert ganze 52 Stunden.

1 Kommentar:

  1. Ein wunderschöner Bericht, schöne Bilder, bei den zwei jungen Männern muss ich aber sehr rätseln, wer Sie sind. Ich denke mal, auf dem Bild im Gartenhäuschen, der rechte junge Mann mit der Brille. Oder? Es sind immerhin fast 30 Jahre her.

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