Norwegen II





Mit dem Fahrrad zum Nordkap: der Traum eines jeden Radreisenden. Im Sommer 2000 ist er für mich in Erfüllung gegangen. Nachdem ich zehn Jahre zuvor bereits bis Narvik vorgedrungen war, ging es nun an die Zieletappe. Meine erste Solotour übrigens.




Startpunkt ist das etwas nördlich von Narvik gelegene Städtchen Harstad. Von dort folge ich im wesentlichen der E6, die hier oben, im äußersten Norden Europas, eine einfache Landstraße ist. Strecke mit dem Rad: 858 km. Höhenmeter: ca. 8.600 m.





Zunächst geht es mit dem Flieger nach Tromsø. Dort erwartet mich bereits Bischof Gerhard Goebel, der mit seinen zehn Priestern für knapp 5.000 Katholiken zuständig ist, die sich über ein Gebiet von 175.000 km² verteilen; das ist etwa die halbe Fläche der Bundesrepublik Deutschland.



Nach zwei erlebnisreichen Tagen in der Zentrale des nördlichsten Bistums der Welt, fahre ich per Schiff zum Ausgangspunkt meiner Tour. In der Bildmitte die sog. "Eismeerkathedrale", eine moderne lutherische Kirche, deren weiße Dachschrägen an aufgeschichtete Eisplatten denken lassen.


Es geht los! Mein Rad ist schwer beladen, denn in der Wildnis, die vor mir liegt, brauche ich meine komplette Camping-Ausrüstung und so einiges an Proviant. Obenauf die Regenjacke, die ich jedoch überraschend selten anziehen muss.



Das erste landschaftliche Highlight dieser Tour sind die sog. "Lyngen-Alpen", ein bis zu 1.834 m hoch aufragendes Gebirgsmassiv, das selbst im Hochsommer noch von reichlich Schnee bedeckt ist. Im Vordergrund der Lyngen-Fjord, der sich 120 km weit ins Landesinnere schiebt.



Seine Ufer sind von Trockengestellen gesäumt, an denen Stockfisch produziert wird, ein durch Lufttrocknung haltbar gemachter Fisch, der entweder trocken verzehrt oder gewässert zubereitet werden kann.





Nach ein paar sonnigen Tagen zieht sich der Himmel auf einmal zu und ich muss mich durch dicke Nebelbänke vorwärts kämpfen. Schade um den schönen Ausblick, den man von der Gildetun-Passhöhe haben soll ...



Schon einen Tag später jedoch lacht wieder die Sonne. Ich habe die Provinz Finnmark erreicht, die Heimat der Samen, die vor allem von der Renzucht leben und ihre Produkte (Fleisch, Felle, Geweihe) am Straßenrand vertreiben.



Dabei tragen sie ihre traditionsreichen samischen Trachten, singen ihre alten Lieder und erzählen den Vorbeikommenden gern von ihrem kargen Leben in der Wildnis.




Ein weiterer Erwerbszweig hier im hohen Norden ist die Fischzucht. Deshalb sieht man in den Fjorden immer wieder solch schwimmende Gehege. Sicher keine artgerechte Haltung, aber immerhin besser als die Indoor-Aquakulturen bei uns.




Hier am Langfjorden treffe ich auf eine Frau aus Bergen, die vor vierzig Jahren Lehrerin in Berlevåg war und nun 2.500 km mit dem Auto fährt, um an einem Klassentreffen teilzunehmen. Die sympathische Frau lädt mich spontan zu einem Kaffee ein.



Wenig später begegne ich einem 65-jährigen Dänen, der ebenfalls zum Nordkap will. Ich hatte schon Tage zuvor von ihm gehört. Denn hier oben weiß man, wer auf der Straße unterwegs ist, und erzählt  einander davon.



Die dritte Begegnung ist eine tierische. Ich habe ein weißes Ren aufgeschreckt, das nun - da es aufgrund der Leitplanken nicht ausweichen kann - über einige Kilometer vor mir herläuft.





Die Renzucht bzw. -jagd gibt es hier bereits seit Jahrtausenden. Die berühmten Felszeichnungen von Alta belegen das auf eindrucksvolle Weise. Die ältesten von ihnen sind etwa 6.500 Jahre alt.





Hinter der kleinen Stadt Alta wird es einsam. Die E6 löst sich von der Küste und schwingt sich auf ein weites Hochplateau hinauf, dessen Permafrostboden nur im Sommer antaut und dann einer Myriade von Mücken Heimat bietet.



Im Hintergrund die Berge des Stabbursdalen-Nationalparks. Wie fast alle Berge in Norwegen wurden sie von der letzten Eiszeit geformt.






Inmitten der einsamen Landschaft taucht auf einmal eine samische Siedlung auf: ein paar Häuser und ein Lavvu, ein dem Tipi ähnliches Zelt, in dem die Samen schlafen, während sie ihren Herden folgen.




Dann habe ich den Porsanger-Fjord erreicht, den letzten großen Meeresarm auf dem Weg zum Nordkap.



Bleibt noch eine Herausforderung: der knapp 7 km lange Tunnel, der das Festland mit der Insel Magerøya verbindet. In der bis zu 250 m tief unter dem Meeresboden verlaufenden Röhre ist es mit etwa 4 Grad Celsius bitterkalt. Außerdem ist sie ganz schön steil.


Honningsvåg. Von der kleinen Fischereisiedlung sind es nur 40 km bis zum Nordkap. Die allerdings haben es in sich, denn die Straße windet sich über drei Anhöhen hinweg. In der Hoffnung, das Kap im Licht der Mitternachtssonne erleben zu können, nehme ich sie noch am späten Abend in Angriff.



Tatsächlich erreiche ich das Nordkap um kurz vor Mitternacht. Nur von der Sonne ist leider nichts zu sehen. Eine dünne Wolkendecke hat sich über den nördlichsten Punkt Europas geschoben. Aber immerhin: es ist noch taghell und es regnet nicht.





Noch in derselben Nacht fahre ich zurück nach Honningsvåg und besteige das Hurtigruten-Schiff, das mich zurück nach Tromsø bringt.



Knapp zwölf Stunden dauert die Fahrt, auf der ich die gefahrene Strecke noch mal Revue passieren lassen kann - so, wie sie die meisten erleben, die sich auf den Weg zum Nordkap machen.

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