Elsass-Lothringen

Das Elsass kennen viele. Wegen des Weins. Aber Lothringen? Ich war neugierig. Also bin ich losgefahren. Im September 2022. Zwei Flüsse und ein Gebirge haben mir den Weg gewiesen: die Saar, die Mosel und die Vogesen. Strecke mit dem Rad: 648 km. Höhenmeter: 3.664 m.

Los geht's in Mittelbergheim, einem kleinen Dorf im nördlichen Elsass. Hier ist einer meiner Lieblingswinzer zu Hause: Armand Gilg. Da kann ich mein Auto stehen lassen und am Ende noch ein paar Flaschen Wein mitnehmen.


Aber erstmal geht's aufs Rad. Die Véloroute du Vignoble ist das Radler-Pendant zur Elsässer Weinstraße. Sie ist bestens ausgeschildert und verläuft fast ausschließlich auf Rad- und Wirtschaftswegen, von einem Weinberg zum nächsten.

Während die jungen Reben teils stark von der Trockenheit des Sommers gezeichnet sind, tragen die alten reiche Frucht: Riesling, Sylvaner, Pinos Gris, Auxerrois, Muscat, Gewürztraminer ... Am Abend wird natürlich verkostet. In Maßen, versteht sich. Denn ich will am nächsten Tag ja wieder aufs Rad.


Es geht in die Nordvogesen hinauf. Dort übernachte in einem kleinen Dorf, das wie fast alle hier zwei Namen trägt: Lützelstein und La  Petite-Pierre. Gesprochen wird Deutsch, Französisch und Elsässisch. Und es wird ganz hervorrangend gekocht. Auch hier ein Geheimtipp: das Restaurant Au Grès du marché.


Dort, in den Nordvogesen, entspringt die Saar. Ein wunderschöner kleiner Bachlauf, der leider schon nach wenigen Kilometern zu einem von Industriebrachen und Arbeitersiedlungen flankierten Kanal wird. Es geht ins saarländische Kohle- und Stahlrevier hinein, das seine beste Zeit bekanntlich hinter sich hat.

Aushängeschild des Saargebiets ist die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählende Völklinger Hütte, die 1873 gegründet und 1987 stillgelegt wurde. Ein beeindruckendes Industriedenkmal.


Das nächste Aushängeschild: die Saarschleife. Ich lasse mein Rad am Flussufer stehen und erklimme den Aussichtsberg Cloef. Schon König Friedrich Wilhelm IV., Adolf Hitler, Jacques Chirac, Lech Kaczyński und Angela Merkel haben hier oben gestanden. Und immer ging es dabei um das Miteinander (und leider auch Gegeneinander) von Deutschland und Frankreich.

Am nächsten Morgen habe ich die Mündung der nur 235 km langen Saar erreicht. Ab jetzt folge ich dem Lauf der Mosel, und zwar flussaufwärts. Also nicht in das romantische Moseltal, sondern ins lothringische Industrierevier hinein.


Fördertürme und Hochöfen prägen auch hier das Bild. Aber so hässlich, wie ich es mir vorgestellt hatte, ist es gar nicht. Aus der Ferne betrachtet haben die alten Industrieanlagen sogar einen gewissen Charme.

Auf einmal scheine ich wieder in Deutschland zu sein. Im wilhelminischen Kaiserreich. Ich stehe vor dem Bahnhof von Metz und staune, mit welcher Wucht man den Franzosen hier zu verstehen geben hat: "Das ist und bleibt eine deutsche Stadt."


Dabei hat auch der französisch geprägte Teil der Stadt so einiges zu bieten. Zum Beispiel die drittgrößte Kathedrale des Landes mit einem beeindruckenden Maßwerk und ganz wunderbaren Fenstern. Einige davon hat Marc Chagall gestaltet.

Die Industriereviere liegen hinter mir und es wird einsam. Die Mosel durchfliest südlich von Metz eine der am dünnsten besiedelten Regionen Frankreichs. In den meisten Dörfern gibt es weder einen Bäcker, noch eine Kneipe. Dafür ganz viel Weite und Ruhe.

Dann auf einmal taucht wie aus dem Nichts die Stadt Nancy auf, einst Sitz der lothringischen Herzöge. Entsprechend prunkvoll geht es zu. Vor allem an der Place Stanislas. Der an Stanislaus I. Leszczyński, Herzog von Lothringen und König von Polen, erinnernde Platz ist einer der schönsten Stadtplätze Europas.

Vor allem, wer ihn nach Einbruch der Dunkelheit erlebt, wird dem sofort zustimmen. Und wenn dann noch der Opernchor zu einer passenden Lichtinstallation singt, wie ich es erlebt habe ... Gänsehaut! 

Mittagsrast an einem kleinen See. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau und das Thermometer zeigt angenehme 20 °C an. Was will man als Radler mehr?

"Aux morts de la Grande Guerre". So wird in fast jedem Ort der Gefallenen des Ersten Weltkrieges gedacht. Hier in Lothringen gab es derer besonders viele.

Es geht wieder bergauf, dem Hauptkamm der Vogesen entgegen.

Ganz so wild ist der Anstieg aber nicht. Denn die Véloroute de la Moselle verläuft zu einem guten Teil auf einer voie verte, einem Bahntrassenradweg. Nur am Ende wartet eine knackige Steigung. Im Hintergrund übrigens ist der Grand Ballon (1.424 m) zu sehen, die höchste Erhebung der Vogesen.

Auf 715 m Höhe liegt sie dann vor mir: die Moselquelle. Von hier fließt die "kleine Maas" (so die wörtliche Übersetzung von Moselle) in einem großen Bogen nach Koblenz und in den Rhein, 544 km lang.

Kurz darauf erreiche ich den Col du Bussang. Der 731 m hohe Pass markiert nicht nur die Grenze zwischen Lothringen und Elsass, sondern auch eine Wasser- und Wetterscheide ... 

... was ich gleich am nächsten Morgen zu spüren bekomme. Keine Spur mehr von Sonne und blauem Himmel, sondern anhaltender Regen und kühle Temperaturen. Ich bin wieder auf der Véloroute du Vignoble unterwegs, diesmal im südlichen Elsass.




Aber auch das durchwachsene Wetter hat seinen Vorteil. Denn sonst wäre ein Touri-Hotspot wie Riquewhir vermutlich noch überlaufener. Schön sind diese Winzerdörfer ja schon, aber leider auch ziemlich kommerzialisiert.


Und dann lässt sich die Sonne doch noch mal sehen. In Ribeauvillé, dem letzten Übernachtungsort, bevor es zurück nach Mittelbergheim zu meinen Lieblingswinzer geht und dann nach Hause mit ein paar Flaschen Wein im Gepäck.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen