England





Radfahren in England ist krass: enge Straßen, knackige Steigungen, viel Regen, noch mehr Wind … Trotzdem habe ich es gewagt. Im Sommer 2009.



Meine Route: Vom Flughafen Stansted nach Canterbury. Dann immer der Küste entlang gen Westen, mit einem Sprung auf die Isle of Wight. In Bournemouth bin ich den nervenden Gegenwind dann leid, fahre mit dem Zug in Richtung Land's End und von dort wieder mit dem Rad nach Exeter und Bath. Strecke: 818 km. Höhenmeter: 8.247 m.





England wie aus dem Bilderbuch: herrlichstes Sommerwetter, grüne Hügel und eine imposante Kathedrale. So geht es los. Ich habe die Themse und den Medway überquert und bin in Rochester gelandet, wo dieser wunderschöne Kirchbau aus der Zeit der Normannen steht.





Auch sonst ist Rochester recht schön. Viele Häuser stammen aus dem 18. Jahrhundert und haben die beiden großen Kriege erstaunlich gut überstanden.





Gleich am nächsten Tag das zweite Highlight: die Kathedrale von Canterbury, die älteste Bischofskirche Großbritanniens. Ein Meisterwerk der Romanik und Gotik.



Nicht weit entfernt: St. Augustin's Abbey, gegründet im Jahr 597. Hier hat der "Apostel der Angelsachsen" gewirkt: Augustinus von Canterbury. Die aufziehenden Wolken verheißen nichts Gutes ...




... und tatsächlich: am nächsten Tag ist es mit dem "Bilderbuch-England" vorbei. Ich habe die Küste erreicht und kämpfe mich gegen Windstärken von 7 bis 8 Beaufort voran.



Hastings. Das erste große englische Seebad. Obwohl die Sonne wieder hervorlugt, wagt sich kaum jemand auf die Seepromenade. Die Gefahr, vom immer noch dröhnenden Sturm umgeblasen zu werden, ist zu groß. Nur einen tapferen (oder verrückten) deutschen Radfahrer schreckt das nicht.



Eastbourne. Das nächste große Seebad. Hier legt der Wind eine kurze Pause ein, so dass ich mich auf die 300 m lange Seebrücke hinaus wagen kann.






Auch andere wagen sich wieder vor die Tür. Es sind vor allem Senioren, die in den Seebädern ihren Urlaub verbringen - und vermutlich von früher träumen. Denn die meisten Badeorte haben ihre besten Jahre längst hinter sich.


Zeit für eine kleine Stärkung: Fish and Chips. Das englische Nationalgericht. Wenn man denn überhaupt von einer "englischen Küche" sprechen will ...



Ok, die süßen oder auch herzhaften Pies (Teigtaschen) sind ganz lecker - wenn sie nicht gerade mit Fischköpfen (stargazy pie) oder anderen Schlachtabfällen (haggis pie) gefüllt sind.




Da ich ohne Zelt unterwegs bin und meist in "B&Bs" übernachte, beginnt der Tag fast immer mit einem Full English Breakfast. "How do you like your eggs? Over easy or sunny side up?" Herrlich, dieses Ritual!





Und für den Fall, dass die größtmögliche Kalorienzufuhr damit immer noch nicht erreicht ist, gibt es auch noch dieses hier: Fudge - butterweiches Karamelkonfekt.







Genug geschlemmt, zurück aufs Rad! Gleich hinter Eastbourne geht es auf die 162 m hohe Klippe Heady Beach hinauf. Der gleichnamige Leuchtturm - immerhin 43 m hoch - wirkt dagegen geradezu mickerig.



Auf Heady Beach folgen die Seven Sisters, eine Kette aufeinanderfolgender Kreidefelsen - einer beeindruckender als der andere.





Und dann auf einmal bin ich in Indien - mitten in Brighton. Dort hat sich der Prince of Wales im Jahr 1822 einen Royal Pavilion im Stil eines indischen Mogul-Palastes errichten lassen. Die Innenausstattung ist chinesisch. Very special ...





Ich setze über zur Isle of Wight. Die etwa 35 mal 20 km große Insel ist landschaftlich sehr schön, allerdings (wieder) von heftigstem Wind umtost.









Irgendwo hier, kurz vor Bournemouth, fällt die Entscheidung, nicht weiter gegen den Wind anzukämpfen. Ich komme trotz größter Anstrengung kaum über 8 bis 10 km/h hinaus und das ständige Pfeifen des Windes in den Ohren zerrt an den Nerven.





Einen Tag später in Penzance. Eine siebenstündige Zugfahrt hat mich hergebracht. Und siehe: das Meer ist wieder ruhig! Im Hintergrund hebt sich St. Michael's Mount aus dem Wasser empor, der "kleine Bruder" des französischen Mont Saint-Michel.



Nur eine halbe Tagesetappe entfernt: Lands End, der westlichste Punkt Englands. Ab hier kann der Wind nur noch Seefahrern etwas anhaben.




Ganz in der Nähe: The Minack Theatre, das Lebenswerk einer Theater-Enthusiastin namens Rowena Cade. Die hat das Gelände 1920 gekauft und dann mehr als 50 Jahre damit verbracht, ein imposantes Freilichttheater zu bauen. Zur Einweihung wurde - wie passend - "Der Sturm" von William Shakespeare aufgeführt.




Ich breche auf in Richtung Osten. Der Wind weht ab jetzt mehr oder weniger von hinten. Bleiben nur noch die knackigen Steigungen von 16 oder 18 Prozent und die immer wieder niedergehenden Regenschauer.




Eine kleine Abwechslung bieten Fähren. Hier das kleine Boot, das mich über die Carrick Roads bringt, eine langgestreckte Meeresbucht bei Falmouth im südlichen Cornwall.





Das schön gelegene Hafenstädtchen Looe. Die Menschen hier leben vom Krebsfang und vom Haiangeln.




Dann geht es landeinwärts und hoch hinauf ...





… in den berühmten Dartmoor Nationalpark, eine bis zu 621 m hohe Hügellandschaft, die in weiten Teilen aus Hochmoor besteht.



Der einsame Landstrich mutet ziemlich gespenstisch an, ...




… zumal inmitten der Abgeschiedenheit eine berühmt-berüchtigte Haftanstalt liegt. In nahezu jeder britischen Detektivgeschichte wird sie erwähnt, bei Miss Marple genauso wie bei Sherlock Holmes. Auch James Bond (alias Roger Moore) ist natürlich schon hier gewesen.




Ein kurzer Lichtblick: die Kathedrale von Exeter im abendlichen Sonnenlicht.





Dann zieht sich die Wolkendecke wieder zu. Am Horizont ist bereits das Glastonbury Tor zu sehen, ein markanter Hügel mit einer Kirchturmruine - für manch einen das mythische Avalon aus dem Sagenkreis um König Artus.




Der gleichnamige Ort zu Füßen des Hügels wird daher in jedem Sommer von Hippies, Esoterikern und anderen Heilsuchenden überschwemmt.




Und das Angebot ist wahrlich groß. Es reicht von der "Aura Photography" über einfache "Miracles" bis hin zum individuellen "Enlightenment".





Ich fahre weiter zu einem Ort, auf dem mir wesentlich mehr Segen zu liegen scheint: zur Cathedral of Wells, einer der schönsten englischen Kathedralen. Ihre mächtige Hauptfassade ist mit über 300 Statuen bestückt. Hier werde ich ein letztes Mal so richtig nass.



Dann scheint, als sei nichts gewesen - kein Wind, kein Regen, keine düsteren Wolken - auf der letzten Etappe die Sonne wieder. Sie führt mich in die alte Stadt Bath, bekannt für ihre schöne Abteikirche aus dem 12. Jahrhundert und ...




… ihre bereits von den Römern erbauten Badeanlagen, die zum Teil noch immer in Betrieb sind. Von hier ist es nur noch ein kleiner Sprung nach Wales. Doch das wäre dann mal eine neue Touridee ...

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