Baltikum

Estland, Lettland und Litauen. Das sind romantische Seenlandschaften, unberührte Wälder und einsame Strände. Aber auch prunkvolle Schlösser, liebevoll restaurierte Stadtkerne und eine überraschend feine Kulinarik. Ich habe das Baltikum im Sommer 2012 mit dem Rad durchquert ... 


... und dabei auch ein Stück Polen, die Exklave Kaliningrad und ein weiteres Stück Russland unter die Felgen genommen, so dass ich in Danzig starten und von St. Petersburg wieder zurückfliegen konnte. Strecke mit dem Rad: 1.320 km. Höhenmeter: 3.000 m.

Meine Radreise beginnt mit einer Bootsfahrt. Es gibt kaum eine unkompliziertere und schönere Art, einen Ballungsraum zu verlassen. Man muss sich nicht durch Industrie- und Gewerbegebiete wühlen, sondern gleitet ganz entspannt ins Grüne hinaus.



Schon am nächsten Tag gehts wieder aufs Wasser: über das Frische Haff nach Frauenburg (Frombork). Auf dem zugefrorenen Haff hat sich im Winter 1944/45 eine der größten Flüchtlingstragödien des 2. Weltkriegs abgespielt. Die große Kirche im Vordergrund, der Frauenburger Dom, ist untrennbar mit ...


... Nikolaus Kopernikus (eigentlich Niklas Koppernigk) verbunden, dem Domherrn, Astronomen und Mathematiker, dessen umfangreichen Forschungen wir die "Kopernikanische Wende" zu verdanken haben: die Einsicht, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt.

Kaliningrad, bis 1946 Königsberg. Aus dem politischen und kulturellen Zentrum Ostpreußens, der Heimat des Philosophen Immanuel Kant und der Königsberger Klopse ist nach dem Krieg eine im sowjetischen Plattenbaustil wieder aufgebaute russische Stadt geworden, ...

... die erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die ein oder andere städtebauliche Erneuerung erfährt, wie die im Jahr 2009 errichtete russisch-orthodoxe Christ-Erlöser-Kathedrale und das moderne Einkaufszentrum gleich nebenan.

Über das alte Seebad Cranz (Selenogradsk) fahre ich auf die Kurische Nehrung, die das gleichnamige Haff von der Ostsee trennt. Eine 98 km lange Halbinsel, die an ihrer schmalsten Stelle nur 380 m breit ist und aus endlosen Kieferwäldern und Sanddünen besteht.

Etwa auf halber Strecke liegt der "Wald der tanzenden  Bäume". Was verbirgt sich hinter diesem seltsamen Phänomen? Dazu gibt es die verschiedensten Theorien. Die wohl plausibelste Erklärung ist ein durch Radioaktivität verursachter Gendefekt, da hier jahrzehntelang russische Atomwaffen gelagert wurden.

Mitten auf der Kurischen Nehrung überquere ich die Grenze nach Litauen. Gleich dahinter liegt der wunderschöne kleine Ort Nida (Nidden). Hier haben sich einst Künstler, Schriftsteller und Philosophen niedergelassen: Lovis Corinth, Max Pechstein, Jean-Paul Sartre, Thomas Mann ...

Unten rechts das Thomas-Mann-Haus, darüber ein sog. "Kurenwimpel" (so etwas wie ein Autokennzeichen für Fischerboote) und links ein "Kurenbrett", eine besondere Form des Grabmals. Was für eine interessante Kulturlandschaft!

In Klaipeda (Memel) treffe ich das "Ännchen von Tharau". Auf einem Brunnen, der an den Dichter des siebzehnstrophigen Liebesliedes erinnert. Bis hierher ("Von der Maas bis an die Memel") erstreckte sich einst das Deutsche Reich.



Nur 20 km weiter liegt das Seebad Palanga (Polangen), der "Ballermann Litauens". Und so fühlt es sich auch an. Nicht nur, weil das Thermometer 33 °C anzeigt, sondern auch, weil es fürchterlich rummelig ist. Wie gut, dass ich ein Zimmer am Ortsrand gebucht habe.


Am nächsten Tag gehts nach Lettland hinüber. Hier am Rande, weitab der Hauptstadt, macht das Land einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck. Die Straßen sind von Schlaglöchern übersät und auch die Plattenbauten wirken, als habe man sie schon länger nicht "geflickt".


Fast schon gepflegt wirkt dagegen Kuldīga (Goldingen). Das kleine Städtchen sieht aus wie die Kulisse für einen Film, der in den 1930er Jahren spielt. 


Dann aber: Riga! Diese Stadt kann sich sehen lassen. Hier ist nicht nur alles fein rausgeputzt, hier pulsiert auch das Leben. Nette Kneipen, gute Restaurants, jede Menge Musik- und Kulturveranstaltungen ...


Ich entscheide mich für ein paar Blinis mit Kaviar ...


... und eine Kneipe, in der "Russian Gypsi Jazz" gespielt wird. Dazu ein Wasserglas Wodka (drunter geht es im Baltikum nicht), und der Tag ist perfekt!


Mit etwas schweren Beinen fahre ich am nächsten Tag weiter. In die recht hügelige "Lettische Schweiz", den Gauja-Nationalpark, aus dessen Mitte die sagenumwobene Burg Turaida (Treyden) aufragt, heute ein beliebtes Ausflugsziel.


Die nächste Grenze. Der Empfang in Estland ist nicht sonderlich freundlich: ich werde schon nach wenigen Metern von zwei ziemlich aggressiven Schäferhunden gestellt, denen ich mich nur mit einiger Mühe entziehen kann.


Dann aber wird mir das Land doch schnell sympathisch. Im Kur- und Seebad Pärnu (Pernau). Die an einer kleinen Bucht des Rigaer Meerbusens gelegene Stadt hat nicht nur Charme, sondern auch eine ganze Reihe guter Restaurants.


Von Pärnu geht es in einem langen Tagesritt nach Haapsalu (Hapsal) und ich spüre immer deutlicher, wie verwandt Estland seinem nördlichen Nachbarn Finnland ist - nicht nur in sprachlicher, sondern auch in landschaftlicher Hinsicht.


Hauptsehenswürdigkeit von Haapsalu ist eine aus dem 13. Jh. stammende Bischofsburg, von deren Ruinen man einen herrlichen Blick auf die Altstadt und die nahen Schären hat.

Das nächste Highlight: Tallin (Reval), die Hauptstadt Estlands. Ihre Altstadt hat es als „außergewöhnlich vollständiges und gut erhaltenes Beispiel einer mittelalterlichen nordeuropäischen Handelsstadt“ auf die Weltkulturerbe-Liste geschafft - und sie ist wirklich sehenswert!

Da ich schneller vorangekommen bin als erwartet und das Wetter nicht ganz so gut ist, unternehme ich einen Tagesausflug nach Helsinki. Die Fahrt über den finnischen Meerbusen dauert gerade mal zwei Stunden.

Dann ist das Wetter wieder besser und es geht weiter in Richtung Osten, in den Lahemaa-Nationalpark hinein. In dem sich über eine Halbinsel erstreckenden und zu einem Großteil aus Mooren bestehenden Schutzgebiet sind u.a. Steinadler, Schwarzstörche und Nerze zu Hause.




... und dieser seltsame Gesell, den ich bei einem Nickerchen auf dem warmen Asphalt gestört habe. Es ist ein Marderhund, ein dem Waschbären ähnelnder Wildhund, der ursprünglich aus Ostasien stammt, wegen seines schönen Pelzes aber von der Sowjetunion auch in Osteuropa eingebürgert wurde.


Die Verwaltung des Nationalparks haben die Sowjets auf dem Landgut Palmse untergebracht, in dem vor ihrer Enteignung die Familie von der Pahlen gelebt hat, ein uraltes deutsch-baltisches Adelsgeschlecht. Liebevoll restauriert worden ist der Gutshof freilich erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

An der Grenze zwischen der Europäischen Union und Russland. Mit einem vorher beantragten Visum in der Hand  ist der Grenzübertritt recht unkompliziert. Nur wer mit dem LKW in den Westen will, muss sich auf lange Abfertigungszeiten einstellen.

Die Spuren des real ruinierenden Sozialismus sind nun nicht mehr zu übersehen. Keine Instandhaltung, kein Wiederaufbau. Es ist alles noch so, wie es in der Sowjetunion war. Zumindest hier im Oblast Leningrad (die Provinz heißt tatsächlich noch so).



Das einzige Geschäft, das ich zu sehen bekomme - auf einer 120 km langen Tagesetappe.


... und die einzige Unterkunft, die ich finde. Ein "Hotelzimmer" in Kingisepp (Jamburg). Immerhin kostet das gemütliche 6-Bett-Zimmer gerade einmal 300 Rubel (etwa 7,50 €).


Am nächsten Tag glaube ich meinen Augen nicht zu trauen. Schloss Peterhof: die Sommerresidenz des russischen Zaren. Als habe man das gesamte Vermögen der Provinz in dieses eine Objekt gesteckt.


Hier endet meine dreiwöchige Radtour. Aber ich fahre natürlich noch nach Sankt Petersburg hinein.


Das allerdings nicht mit dem Rad, sondern mit der Elektritschka, der Vorortbahn. Denn die 5-Millionen-Metropole ist nicht gerade fahrradfreundlich.

Nur auf den Kanälen geht es etwas beschaulicher zu. Ihnen verdankt Sankt Petersburg den Beinamen "Venedig des Nordens". Ich steige in einem kleinen Hotel am Nevsky-Prospekt ab und mache mich auf den Weg zum Winterpalast.


Hier ist wieder alles wie aus dem Ei gepellt. Wo einst der russische Zar regierte, schieben sich heute devisenbringende Touristengruppen durch den Palast und die Eremitage. Ich habe noch einen ganzen Tag, um mir "die goldene Stadt an der Newa" anzuschauen und fliege dann wieder nach Hause.

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