Sonntag, 12. Juli 2015

Frühförderung








Meine Nichte Victoria auf ihrer ersten richtig großen Radtour

Bislang hatte sich die Elfjährige vor allem als Inspiratorin und Visionärin hervorgetan: "Fahr doch mal mit dem Fahrrad nach China!" Oder: "Wann nimmst Du mich endlich mal mit? Ich würde so gerne mal mit Dir durch Afrika fahren!" - "Gemach, gemach, mein Kind. Wie wäre es erst mal mit einer kleinen Testfahrt?"
 
Am 6. Juli ist es soweit: ihr schickes "Lakes Sweapy 4.2" mit Suntour-Federgabel und Shimano-21-Gang-Kettenschaltung ist geputzt, Sattel und Lenkrad haben die richtige Position, beide Packtaschen sind gut gefüllt und der Helm sitzt ordentlich auf dem Kopf. Wir starten in Essen-Überruhr, fahren ruhraufwärts nach Dahlhausen und dann die Bahntrasse hinauf nach Weitmar.
 
"Kommen wir auch an McDonald's vorbei?" - "Ja, kommen wir, mein Schatz. Da geben wir dann noch mal so richtig Gas, um einen schönen Picknickplatz zu erreichen." Victoria grinst. Sie hat verstanden. Der erste Rastplatz ist erreicht: eine romantische Kirchenruine im Schlosspark von Weitmar. "Ich hab mein Smartphone zuhause vergessen." - "Prima! Dann steht ja unserem kleinen Abenteuer nichts mehr im Wege." Victoria grinst abermals. Der zweiten Versuchung ist widerstanden.
 
Von Weitmar fahren wir zum Bochumer Planetarium und schauen uns die Kindershow "Zeitreise unter Sternen" an. Auch das, lernt Victoria, gehört zu einer schönen Radtour: Verweilen, Genießen, Neues entdecken ... "Wie fahren wir denn zurück?", frage ich sie. "Auf demselben Weg, auf dem wir gekommen sind? Oder auf einem anderen Weg? Der ist allerdings ein klein wenig länger." - "Lieber auf einem neuen Weg." Das war die Antwort, die ich hören wollte! Nun grinst der Onkel.
 
Von der Bochumer Innenstadt geht es in einem großen Bogen hinab zum Kemnader Stausee und dann - zunächst dem Nordufer, dann dem Südufer folgend - ruhrabwärts zurück nach Überruhr. Victoria ist erstaunlich fit. Ihre Trittfrequenz ist noch etwas unregelmäßig, und der Po tut natürlich auch irgendwann weh. Aber die Lust am Vorankommen, am Erlebnis der eigenen Kraft und an der Natur ist da. Und das ist das Wichtigste.
 
Bei einer kurzen Pause zählen wir, wie viele mit einem normalen Fahrrad an uns vorbeifahren und wie viele mit einem sog. "Pedelec". Die Zahl der Elektrofahrräder überwiegt bei weitem. "Sind die alle krank? Können die nicht mehr selber treten?" fragt Victoria. - "Nun, einige werden schon gesundheitliche Probleme haben. Für sie ist das eine prima Erfindung. Denn sonst würden sie sich wahrscheinlich gar nicht mehr an der frischen Luft bewegen. Die meisten aber, glaube ich, wollen einfach nur ohne Schweiß und Anstrengung vorwärts kommen." Wir schauen beide nachdenklich in die Ferne ...
 
Wir jedenfalls wollen den Schweiß und die Anstrengung dieser ersten gemeinsamen Radtour nicht mehr missen. 54 Kilometer und 196 Höhenmeter hat Victoria auf ihrer ersten großen Tour bewältigt. Respekt! Das ist für eine Elfjährige schon ganz ordentlich. Noch viel länger in Erinnerung bleiben wird uns allerdings, was wir an diesem Tag miteinander erlebt, erfahren und geteilt haben. - Ich befürchte, Victoria hat sich längst mit dem Radreise-Virus infiziert. Die erste Reise mit dem Rad wird irgendwann kommen ...