Bretagne



Bretonisches Stillleben: Austern, Meer, Sonne, Boote … und ein Fahrrad. Zum Leben erwacht ist dieses Bild für mich im Sommer 2018. Drei Wochen lang war ich im französischen "Kleinbritannien" unterwegs.



Meine Route: Ich starte in der Nähe von Nantes und folge zunächst dem östlichen Verteidigungswall der Bretagne mit den schönen Festungsstädten Chateaubriant, Vitré und Fougères. Dann geht es immer der Küste entlang. Zunächst nach Westen, dann nach Südosten. Ein Abstecher auf die schöne Belle-Ile und zur (nicht mehr in der Bretagne gelegenen) Stadt La Rochelle runden diese Radtour ab. Kilometer: 1.768. Höhenmeter: 14.032.



Los geht's in Saint Géréon an der Loire, etwa 40 km nordöstlich von Nantes. Nicht nur wegen des schönen Namens. Auch, weil ich meine, mein Auto in einem so kleinen Ort sicher stehen lassen zu können (ein Trugschluss, wie sich am Ende zeigt: das Auto ist aufgebrochen und das Navi fehlt). Ich bin mit 22 kg "Vollausrüstung" unterwegs, habe also Matte, Schlafsack, Zelt und Kocher dabei. Denn in der Bretagne gibt es viele Campingplätze.



Zu meiner großen Enttäuschung sind nur leider die wenigsten von ihnen auf Zeltübernachtungen eingestellt. Es dominieren Mobilhome- und Caravanparks mit Erlebnisbädern, Spielhallen, Fast-Food-Restaurants und Animation. Nicht "Camping-", sondern "Kirmesplätze" sollte man sie nennen. Kleiner Tipp: nach einem schlichten "Camping Municipal" Ausschau halten. Dort kann man noch gut und günstig im Zelt übernachten.




Nun aber zu den schönen Seiten der Tour. Ich habe einen "Jahrhundertsommer" erwischt. Nur an einem einzigen Tag hat es geregnet. Das ist für die Bretagne mehr als ungewöhnlich. Hier, vor der Festung von Vitrè, zeigt das Thermometer stolze 32 Grad an.




Etwas kühler ist es an der Küste. Ich erreiche sie nach zweieinhalb Tagen beim Mont Saint Michel. Da ich den "heiligen Berg" bereits auf einer Tour durch die Normandie ausführlich erkundet habe (ja, er gehört offiziell zur Normandie, weil er sich einige Meter östlich der Mündung des Flusses Couesnon erhebt), grüße ich ihn diesmal nur aus der Ferne und fahre weiter in Richtung Saint Malo.



Die Stadt, die ihren Namen einem britischen Missionar aus dem 6. Jahrhundert verdankt, wurde im Zweiten Weltkrieg zu 80 Prozent zerstört und nach Kriegsende originalgetreu wieder aufgebaut. Schön, aber auch etwas kühl. Mir persönlich gefällt die nächste Stadt besser ...



Dinan. Das etwa 20 km landeinwärts an der Rance gelegene Städtchen hat den Krieg unversehrter überstanden als ihre Schwester an der Küste. Hier gibt es noch viele alte Gassen mit wunderschönen Bruchstein- und Fachwerkhäusern.



Zurück an der Küste steuere ich Cap Fréhel entgegen. Hier zeigt sich die Bretagne zum ersten Mal von ihrer etwas raueren Seite. Zu meinen Füßen das mittelalterliche Fort La Latte, das schon so manchem Mantel- und Degenfilm als Kulisse gedient hat. "Die Wikinger" zum Beispiel mit Kirk Douglas und Tony Curtis wurde hier gedreht.




Die bretonische Küste ist nicht besonders spektakulär, dafür aber sehr abwechslungsreich. Alle 20 bis 30 Kilometer ändert sie ihr Gesicht. Mal felsig, mal blumig, mal schroff, mal mild ... Nur eines haben fast alle Küstenabschnitte gemeinsam: es geht beständig auf und ab. Oft sind es nur 50 oder 70 Meter, aber die Steigungen summieren sich und machen es schwer, einen guten Rhythmus zu finden.




Besonders eindrucksvoll: die Côte de Granit Rose (Rosengranitküste). Aufgrund ihrer markanten Form haben einige der Felsen Namen bekommen wie etwa "Napoleons Hut". Der hat am 3. April 1943 besondere Berühmtheit erlangt. Damals hat die BBC mit der als Code gesendeten Frage "Befindet sich Napoleons Hut noch immer in Perros-Guirec?" das Signal zum bewaffneten Widerstand gegen die deutsche Besatzung in Frankreich gegeben.



Die Bretagne ist ein Eldorado für Segler. Fast jeder Küstenort hat seinen eigenen Yachthafen. Hier der von Paimpol an der Côte du Goëlo. Der junge Mann aus Stein mit seinem typisch bretonischen Fischerpullover erinnert an die "Islandfischer", die dem Ort im 19. Jahrhundert zu wirtschaftlichem Aufschwung verholfen haben.




Was wäre das Land des Asterix und des Obelix ohne seine Hinkelsteine? Dieser hier, der siebeneinhalb Meter hohe "Menhir von Saint Uzec", wurde im 17. Jahrhundert christianisiert. Sein Spitze krönt seitdem ein Kreuz. Warum diese "langen Steine" (bretonisch "men" = Stein, "hir" = lang) in vorgeschichtlicher Zeit aufgestellt wurden, ist in weiten Teilen noch unerforscht.



Etwas mehr weiß man da über diese jungsteinzeitliche Megalithanlage, den "Cairn du Barnenez". Das etwa 14.000 Tonnen wiegende Bauwerk ist um 4.500 v. Chr. entstanden und hatte die Funktion einer Grabstätte.




Doch zurück zu den Lebenden. Ich schlage mich weiter in Richtung Westen durch und treffe an der Côte des Abers auf mehrere Familien aus der Heimat, die hier bereits seit vielen Jahren gemeinsam Urlaub machen - auf einem ausnahmsweise mal sehr schönen Campingplatz. Wir verbringen einen wunderbaren Grillabend miteinander. Vielen Dank noch einmal dafür!



Die Côte des Abers ist von weit ins Landesinnere hineinragenden Meeresarmen geprägt. Sie sind sehr schön, erfordern aber auch kilometerlange Umwege, da es in Küstennähe weder Brücken noch Fähren gibt.



Von der Côte des Abers ist es nicht mehr weit bis nach Brest, wo ich nach etlichen Nächten im Zelt einmal wieder in den Genuss eines Hotelzimmers komme. Ansonsten hat die Stadt allerdings nicht viel zu bieten. Ähnlich wie Saint Malo wurde sie im Zweiten Weltkrieg nahezu komplett zerstört - danach allerdings nicht originalgetreu, sondern als gesichtslose Planstadt neu aufgebaut.



Richtig schön wird es erst wieder am Cap Sizun, einer von schroffen Felsen und blühendem Heidekraut überzogenen Landspitze. Ihr äußerstes Ende ist die …




… Pointe du Raz, eine schroffe Klippe, um die sich viele Legenden ranken. So soll man an einer bestimmten Stelle zum Beispiel das Stöhnen der vor der Klippe Ertrunkenen hören können.



Auch kulturell hat die westlichste Region der Bretagne, das Département Finistère, einiges zu bieten. Zum Beispiel die sog. "Calvaires", eine typisch bretonische Form des Kalvarienbergs. Der älteste von ihnen, der Calvaire du Notre Dame de Tronoën, ist um 1450 entstanden und besteht aus über 100 Steinfiguren.



Je weiter ich in Richtung Süden vordringe, umso touristischer wird es. Zum Beispiel in Concarneau. Eigentlich eine schöne kleine Festungsstadt. Aber so …?



Angenehm an der Südwestküste ist, dass es (zumindest in den Monaten Juli und August) eine ganze Reihe von Fähren gibt, die auch Fahrräder an Bord nehmen. So kann ich dem Küstenverlauf hier ohne Umwege ins Hinterland folgen.



Eine größere Fähre bringt mich zur Belle-Île-en-mer. Für mich ist diese Insel, die man gut an einem Tag mit dem Rad erkunden kann, der landschaftliche Höhepunkt dieser Tour. Nicht nur wegen der Felsnadeln von Port Coton, die Claude Monet und andere unzählige Male auf die Leinwand gebracht haben, …


… sondern auch wegen der feinen Sandstrände, die man eher in der Karibik als in der Bretagne vermuten würde.



Und nicht zuletzt: wegen der vielen netten Kneipen in Le Palais, der sympathischen Inselhauptstadt.




Wieder zurück auf dem Festland, passiere ich die berühmten Menhirfelder von Carnac. Dieses hier, das Alignement du Ménec, besteht aus 1050 Steinen, die sich in elf Reihen über rund einen Kilometer erstrecken. Vermutlich handelt es sich bei diesen Steinalleen um Prozessionswege, die auf ein Heiligtum zuführten. Obelix hätte seine helle Freude daran!



Und schließlich die Salinen von Guérande, in denen seit Jahrhunderten Meersalz gewonnen wird - u.a. das weltbekannte "Fleur de Sel de Guérande". Hier bin ich denn auch einmal mit meinem treuen Gefährten zu sehen, der mir wieder mal keinerlei Sorgen bereitet hat.



Da ich gut vorangekommen bin, noch etwas Zeit habe und die Winde günstig stehen, verlasse ich die Bretagne, überquere die Loire-Mündung bei Saint Nazaire und folge der Atlantikküste noch etwas weiter in Richtung Süden.



Hier, in Les Sables-d'Olonne im Département Vendée, Frankreichs zweitgrößtem Badeort, hat der Massen-tourismus den Kampf gegen die schöne Landschaft endgültig gewonnen.



Ebenfalls ziemlich überlaufen, aber aufgrund ihrer historischen Bausubstanz doch auch recht schön: La Rochelle, die Hauptstadt des Départements Charente-Maritime. Hier kehre ich um. Ich nehme den Zug nach Saint Nazaire und mache dann, was ich eigentlich erst jenseits der Siebzig tun wollte: …



Ich folge dem populären Loire-Radweg. Bestens ausgeschildert, flach, familienfreundlich (aber auch ein bisschen langweilig) ...




… führt er mich zunächst nach Nantes, in die einstige Hauptstadt der Bretagne, und dann weiter nach Saint Géréon, wo meine Tour vor drei Wochen ihren Anfang nahm.

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