Taiwan

"Fahr doch mal nach China!" hat mein Patenkind gesagt. Also gut, dann aber nicht in die Volksrepublik, sondern ins demokratische China, nach Taiwan. Der Frühling soll eine gute Reisezeit sein. Also breche ich gleich nach Ostern auf, im Jahr 2013.

Während die Westküste Taiwans dicht besiedelt ist, sind die Berge und die Ostküste fast menschenleer. Entsprechend habe ich die Tour geplant: von Taipeh aus die Ostküste hinunter, dann ins zentrale Gebirge hinauf und schließlich noch ein Stück mit dem Bus. Strecke mit dem Rad: 1.006 km. Höhenmeter: 7.600 m.

Ich verstehe erst einmal nur chinesisch. Alles, aber auch wirklich alles ist fremd.

Auch an das Essen muss ich mich erstmal gewöhnen. Immerhin gibt es in Taiwan mittlerweile eine Bewegung, die dafür eintritt, dass Hunde nicht (mehr) auf den Teller gehören.

In Taipeh sind erstaunlich viele junge Menschen unterwegs. Ach ja: In Taiwan hat es die auf dem Festland herrschende Ein-Kind-Politik nie gegeben.

Bis heute hochverehrt: Sun Yat-sen. Er hat die "Republik China" 1912 gegründet, damals noch auf dem Festland. Nach Taiwan zurückgezogen hat sich die Demokratiebewegung erst 1949 unter der Führung von Chiang Kai-shek, dem zweiten großen Nationalhelden.

"In Sicherheit gebracht" wurde damals auch ein Kunstschatz von unermesslichem Wert: Vasen aus der Ming-Dynastie, Jade- und Holzschnitzereien, kalligrafische Werke ... Das alles ist heute im National Palace Museum am Stadtrand von Taipeh zu sehen.

Und noch etwas wird in Taiwan bewahrt und gepflegt: das traditionelle chinesische Theater. Die Dame hat sich etwa fünf Stunden lang für ihren Auftritt herrichten lassen.

Dann kann das Schauspiel beginnen. Großartig! Auch wenn ich kaum etwas verstehe und die Musik mehr als gewöhnungsbedürftig ist.

Dann endlich geht's aufs Rad. Taiwan ist ein radfahrerfreundliches Land. Das sieht man schon daran, dass es in der Metro markierte Einstiegsplätze für Radfahrer gibt. Dass das Rad (kostenlos) mitgenommen werden darf, ist überhaupt keine Frage.

Auch gibt es bestens asphaltierte Radwege. Ganz besonders an der Ostküste, die als ein Geheimtipp für Radfahrer gehandelt wird. Nur das Wetter könnte etwas besser sein.

Der Radweg ist natürlich nicht durchgängig. Vor allem, wenn sich die Küstenstraße in die Berge hochschraubt, muss man schon auch auf der Straße fahren. Das aber ist kein größeres Problem. Der Verkehr ist moderat und es wird ausgesprochen rücksichtsvoll gefahren.

Mitunter windet sich die Straße auch durchs Hinterland. Das bringt zwar ebenfalls Höhenmeter ein, ist aber landschaftlich wie auch kulturell äußerst reizvoll.


Das erste Highlight meiner Tour: die Taroko-Schlucht. Ihre steilen Felswände ragen bis zu 1.000 m hoch auf und stehen aufs Engste beieinander.

Sie bestehen zu einem guten Teil aus weißem Marmor. Der aber wird hier nicht abgebaut, sondern lediglich bestaunt. Denn die Schlucht steht unter Naturschutz. Sie wurde schon 1937 zu einem Nationalpark erhoben.

Kein Nationalpark, aber ebenfalls geschützt ist der Chiphen Forest, ein tropisches Regenwaldgebiet. Hier lege ich einen Wandertag ein, zumal es am Rande des Waldes heiße Quellen gibt, in denen sich meine müden Beine wunderbar regenerieren können.

Dann begegnen mir immer häufiger solch kunstvoll geschnitzte Dorfeinfahrten. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass ich mich im Gebiet der indigenen Bevölkerung bewege.

Hier ist es ein Mann vom Volk der Paiwan, dem drittgrößten indigenen Volk Taiwans. Er lädt mich spontan zu einer rituellen Feier ein, bei der viel geopfert und geknallt wird.

Danach setzen sich alle in kleinen Gruppen zusammen, um die zuvor geopferten Gaben zu verzehren - darunter auch riesige Froschschenkel. Wie gut, dass sich das Meiste nicht so genau identifizieren lässt.

Wenig später begegne ich einem katholischen Priester vom Volk der Paiwan. Er leitet eine Gemeinde, die erst wenige Jahrzehnte zuvor von einem schweizerischen Missionar gegründet worden ist. Eine sehr schöne und herzliche Begegnung.

Je näher ich der Südspitze des Inselstaates komme, umso schöner wird die Landschaft. Hier, im Kenting-Nationalpark, erinnert sich mich ein wenig an Irland.

Auf der anderen Inselseite geht es dann wieder nordwärts. Bei deutlich besserem Wetter (das Thermometer zeigt bis zu 30 Grad Celsius an), aber leider auch bei kräftigem Gegenwind.

Unterkünfte gibt es in Taiwan übrigens reichlich. Hier ist es ein fahrradfreundliches Hostel, wie man an der kleinen Aufschrift "GIANT" erkennt. Die 1972 gegründete Fahrradmanufaktur ist mittlerweile einer der weltweit führenden Fahrradproduzenten. In Taiwan sieht man kaum ein anderes Rad auf der Straße.

Noch eine Kirche. Das 1863 von spanischen Dominikanern errichtete Gebäude wurde von Papst Johannes Paul II. zu einer "Basilika minor" und von der taiwanesischen Regierung zum "Nationalheiligtum" erhoben. Dennoch: Der christliche Bevölkerungsanteil liegt in Taiwan gerade mal bei 3,9 Prozent.

Die große Mehrheit der Bevölkerung gehört dem Buddhismus und dem Taoismus an, wobei die beiden Religionen nicht nur miteinander, sondern auch mit den verschiedensten Volksfrömmigkeiten verschmelzen.

Die taiwanesische Tempelarchitektur lebt von einer überbordenden Fülle an Formen, Farben und Figuren. Hier der Guangshan Tempel in Meinong.

Beim Aufstieg in die Berge gönne ich mir eine kleine Unterstützung. Denn immerhin geht es auf 2.274 m hinauf - zunächst. Nach Alishan. Hier gibt es herrliche Bergnebelwälder, in denen u.a. der asiatische Kragenbär zuhause ist.

Davon unbeeindruckt breche ich zu einer Tageswanderung auf, bei der ich einen Blick auf den höchsten Berg Taiwans erhasche. Auf den 3.952 m hohen Yu-Shan.

Dann geht es wieder aufs Rad und in den Yu-Shan-Nationalpark hinein. Die Straße schlängelt sich in knapp 3.000 m Höhe durch die Berge und es ist angenehm kühl.

Dann geht es bergab. Gesteckte 20 Kilometer. Auf bestem Asphalt. Was für ein Genuss!

Zwei Tage später bin ich am Sun Moon Lake. Den Doppelnamen verdankt er seinen Uferformen, die im Osten der Sonne und im Westen einer Mondsichel ähneln. Leider ist der Himmel mal wieder wolkenverhangen.

Und es kommt noch dicker. Eigentlich sollte der Monsun im April durch sein. Aber einzelne Starkregentage gibt es eben doch.

Als es wieder trocken ist, kommt mir eine prächtige Prozession entgegen, und es bleibt nicht bei einer. Im ganzen Land wird in diesen Tagen Mazu geehrt, die Schutzgöttin der Seeleute und Fischer. Wie passend nach all den Regenfällen!

Mazu und andere Gottheiten nehmen in Gestalt prächtig gekleideter Figuren teil. Sie werden von lauter Posaunen- und Trommelmusik begleitet und von einer Unmenge an Feuerwerkskörpern.

Da ich immer wieder anhalte, um das Geschehen zu verfolgen, treffe ich erst am späten Abend in Lukang ein. Die kleine Stadt ist für ihre schöne historische Altstadt und ihre zahlreichen Tempel bekannt. Des nachts wirken sie besonders einladend.

Wieder zurück in Taipeh erlebe ich ein letztes faszinierendes Ritual - ebenfalls zu Ehren der Göttin Mazu. Mutige Männer tragen sie in einer Sänfte über ...

... glühende Kohlen hinweg. Nur eine dünne Schicht Reis trennt ihre Fußsohlen von der Glut. Nun, meine Fußsohlen sind auch so warm geworden: auf einer wunderschönen Radtour durch ein landschaftlich, vor allem aber kulturell faszinierendes Land.

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