Tokyo und Kyoto, Sashimi und Sushi, Shimono-kaido und Fuji ... Es gibt tausend Gründe mal das Reich der aufgehenden Sonne unter die Felgen zu nehmen. Im Oktober 2024 war es soweit und ich bin einmal um den halben Globus nach Hiroshima geflogen.
Von dort geht es mit dem Fahrrad in Richtung Tokyo: über die Inseln Shikoku und Honshu, das Seto Binnenmeer, die Metropolen Kobe und Osaka, die Kulturstädte Himeji, Nara und Kyoto, den Fuji natürlich und den Nationalpark von Hakone. Strecke: 1.391 km. Höhenmeter: 7.855 m.
Ein Bild, das wohl jeder Erdenbürger kennt: die "Atombombenkuppel" von Hiroshima, das einzige Gebäude weit und breit, das dem Abwurf der US-amerikanischen Atombombe "Little Boy" am 6. August 1945 halbwegs standgehalten hat.
Heute ist Hiroshima ein Ort des Friedens. Ein großer Friedenspark mit beeindruckenden Gedenkstätten und viele Tempel laden zur Besinnung und zum Gebet für den Frieden ein.
Meine Radtour beginnt mit einem Inselhopping. Im Seto Binnenmeer, das Honshu von Shikoku trennt, gibt es Dutzende kleiner Inseln, die durch zwei beliebte Radrouten miteinander verbunden sind: den Tobishima-kaido und den Shimono-kaido.
Die bestens ausgebauten Radwege winden sich von Insel zu Insel und nutzen dabei mal eine Fähre und mal ein Brücke. Das macht selbst bei verhangenem Himmel und schwülen 28 °C Spaß.
Dann bin ich auf Shikoku. Auf der kleinsten der vier Hauptinseln Japans gibt es einen berühmten Pilgerweg, bestehend aus 88 buddhistischen Tempeln.
Entsprechend viele Pilger begegnen mir. Manche besuchen alle Tempel, manche nur einen Teil von ihnen. Immer aber nehmen sie ihre Pilgerreise ausgesprochen ernst.
Und dann werde ich überraschend selbst zum Akteur. Bei einem Tempelfest. Nein, ich musste nicht mit dem Löwen kämpfen. Ich musste nur ein kühles Bier trinken und mich einmal mit dem Löwen ablichten lassen.
Wieder zurück auf Honshu. In Himeji. Die 1580 von Toyotomi Hideyoshi erbaute Burg ist eines der ältesten erhaltenen Bauwerke Japans und zählt heute zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Nur eine halbe Tagesetappe entfernt liegt die Millionenstadt Kobe, die am 17. Januar 1995 weltweit Schlagzeilen machte, als sie von einem Erdbeben der Stärke 7,3 heimgesucht wurde. Ein nicht wiederhergestelltes Stück der Hafenpromenade erinnert noch heute daran.
Und auch dafür ist die Stadt weltweit bekannt: für das sagenumwobene Kobe-Rind mit seinem unsagbar zarten, marmorierten Fleisch. Immerhin ein kleines Steak gibt meine Reisekasse her.
Schon am nächsten Tag bin ich in Osaka. Die Wirtschaftsmetropole ist keine Schönheit, rühmt sich aber, den Konservatismus des restlichen Japans abgelegt zu haben und etwas hipper daher zu kommen.
Das ist vor allem in Shinsaibashi spürbar, einem Viertel, das mit dem Sonnenuntergang zu einer riesigen Partyzone mutiert.
Wesentlich ruhiger geht es in Nara zu. Hier bestimmen buddhistische Tempel und Shinto-Schreine das Bild. Viele von ihnen liegen in einer parkähnlichen Landschaft und laden zum Flanieren und Verweilen ein.
Dabei trifft man allenthalben auf zutrauliche Sikahirsche. Sie laufen einfach im Park herum und haben sich längst an die zahlreichen Pilger und Touristen gewöhnt.
Wieder ein gut ausgebauter Radweg: die Keinawa Cycling Road. Sie verbindet die Kulturstädte Nara und Kyoto miteinander. Dazu ein blauer Himmel, weiße Wolken und nur ganz wenig Gegenwind. Was will man als Radfahrer noch mehr?
In Kyoto verbringe ich zwei ganze Tage, denn es gibt eine Menge zu sehen. Diesen Shinto-Schrein zum Beispiel, den Fushimi Inari-Taisha. Mit seinen orange leuchtenden torii (Schreintoren) ist er zu einem der beliebtesten Fotomotive Japans geworden.
Ebenfalls sehr eindrucksvoll ist der Kinkaku-ji (Goldener Pavillon). Das auf einen im Jahr 1397 erbauten Altersruhesitz des Shoguns Ashikaga Yoshimitsu zurückgehende Tempelgebäude ist fast komplett mit Blattgold verziert und spiegelt sich wunderschön in einem kleinen See.
In kaum einer Stadt Japans gibt es so viele Zen-Gärten wie in Kyoto. Sie sind nicht nur eine Oase der Stille, sondern auch eine wunderbare Meditationshilfe, bilden sie doch den "Lauf des Lebens" mit all seinen Schönheiten und Gefährdungen nach.
Landschaftlich schön ist auch die Umgebung von Kyoto, wenngleich sie mir mit zwei Tagesetappen von über 100 km und 1.000 Höhenmetern einige Tropfen Schweiß abverlangt.
Da ist es wichtig sich gut zu stärken. Aber womit? Vor dieser Frage stehe ich nahezu an jedem Abend. Manchmal hilft eine Übersetzungs-App, manchmal einfach nur das Vertrauen in den Koch und seine "Spezialität des Tages".
Hier ist es ein Horse Sashimi. Jawohl: das ist rohes Pferdefleisch. Aber es ist butterzart und schmeckt ganz hervorragend. So schön übrigens ist jedes Essen in Japan angerichtet. Denn das Auge ist ja bekanntlich mit.
Und wenn einem dann noch derart freundlich ein Gläschen Sake angeboten wird, dann ist die Anstrengung des Tages schnell vergessen. Sake übrigens ist kein Schnaps, sondern ein sehr aufwändig gebrautes (!) Reisgetränk mit nur 15 Vol-% Alkohol.
Mindestens ebenso beliebt ist der grüne Tee. Und so fahre ich hier durch ein riesiges Teeanbaugebiet. Die Masten mit den kleinen Propellern schützen die Teepflanzen im Winter vor Frost, indem sie die etwas höher liegende und daher wärmere Luft nach unten leiten.
Der Fuji: Das ist nicht bloß ein Berg oder Vulkan. Das ist ein Nationalheiligtum. Der Sitz einer weiblichen Gottheit, die sich zum Schutz vor allzu aufdringlichen Männerblicken meist in einen dichten Wolkenumhang hüllt. Ich habe also Glück, dass ich den 3.776 m hohen Gipfel zu sehen bekomme.
Und dann kommt sogar noch die Sonne heraus. Es ist übrigens der erste Oktober seit Menschengedenken, in dem der Fuji keine Schneekappe trägt. Der Klimawandel lässt auch in Japan grüßen.
So übrigens übernachte ich meistens: in einem traditionellen Ryokan (Gasthaus). Auf den von Tatamis (Reisstrohmatten) bedeckten Boden wird in der Nacht ein Futon (eine aus zusammengerollten Tüchern bestehende Schlafunterlage) gelegt. Ansonsten lebt der Raum von seiner Schlichtheit.
Ganz in der Nähe des Mount Fuji liegt der Hakone-Nationalpark, eine stark vom Vulkanismus geprägte Landschaft. Hier ist es das über 1.000 m hoch gelegene Owakudani (großes kochendes Tal) mit seinen schwefelhaltigen Quellen und Fumarolen.
Mit ihrem heißen Wasser werden die so tief in der japanischen Kultur verankerten und bis heute beliebten Onsen (Thermalbäder) betrieben. Da man sie unbekleidet betritt, habe ich lediglich ein recht schlichtes fotografieren können. Aber es lässt erahnen, wie wohltuend so ein heißes Bad nach einer langen, anstrengenden Radetappe ist.
Tokyo: mit 37 Millionen Einwohnern das größte Ballungsgebiet der Erde. Dabei ist die Hauptstadt Japans erstaunlich ruhig. Man hört kein Hupen, keine Klingeltöne, niemand schreit, man unterhält sich leise ... Fast hat man den Eindruck durch ein großes Dorf zu laufen.
Aber natürlich gibt es auch das: volle Straßen, Neonreklame, bunte Mangas und schrille Typen. Der neueste Trend sind sog. Micro Pig Cafes, in denen man kleine Schweine auf den Schoß gesetzt bekommt und sie nach Herzenslust streicheln kann.
Nur wenige hundert Meter entfernt ist es dann wieder mucksmäuschenstill und alle lassen sich von einer uralten Tempelzeremonie in den Bann ziehen. Jeder Schritt und jede Geste ist hier wohlbedacht. Ein äußerst faszinierendes Ritual!
Achja, den Kimono gibt es auch noch. Er wird allerdings kaum mehr im Alltag getragen, sondern nur noch zu besonderen Anlässen. Besser als mit diesem Bild kann man die Schönheit und Fremdheit Japans kaum zusammenfassen. Ob ich wohl noch einmal wiederkommen werde? Lohnende Radrouten jedenfalls gibt es genug!
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