Ägypten: Das ist vor allem das Niltal, das sich wie ein grünes Band durch eine scheinbar leblose Wüste windet. Radfahren sei dort nahezu unmöglich, heißt es: chaotischer Verkehr, Polizeikontrollen, verbotene Zonen, Korruption ... Ich habe es trotzdem gewagt. Im Februar 2010.
Ich bin den Nil hinauf gefahren, von Kairo nach Luxor, und dann an die Küste des Roten Meeres, nach Marsa Alam. Meist auf dem Sattel, oft aber auch in Polizeiwagen oder anderen Autos - schlicht, weil es anders nicht ging. Strecke mit dem Rad: ca. 600 km. Höhenmeter: unerheblich.
Kairo ist nicht gerade eine Schönheit. Die Häuser und Wohnungen der mehr als zehn Millionen Einwohner drängen sich dicht an dicht zu beiden Seiten des großen Stromes. Nur hier und da kann sich der Blick an einem imposanten Turm oder an den Minaretten einer Moschee festmachen.
Dabei hat die Hauptstadt Ägyptens so einiges zu bieten. Die Sultan-Hassan-Moschee aus dem 14. Jh. zum Beispiel (links) und die aus dem 19. Jh. stammende Er-Rifai-Moschee (rechts), in der neben Mitgliedern der Königsfamilie auch der im Exil verstorbene Schah von Persien seine letzte Ruhestätte gefunden hat.
Sehenswert ist auch der bereits im 14. Jh. gegründete Basar, dem der ägyptische Literaturnobelpreisträger Nagib Nahfuz mit seiner 1947 erschienenen Novelle Die Midaq-Gasse ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Leider ist der Markt in den letzten Jahren immer wieder zu einem Ziel von Terroranschlägen geworden.
Und dann sind da natürlich noch die Pyramiden von Gizeh. Hier die der Pharaonen Chephren und Cheops, beide zwischen 2.600 und 2.500 v. Chr. erbaut. So schön und friedlich wirken sie leider nur aus der Ferne. Denn sobald man sich ihnen nähert, wird man von äußerst lästigen Händlern und Bettlern bedrängt.
Last but not least: die Große Sphinx. Sie wäre beinahe vom Wüstensand verschluckt worden, hätten nicht Archäologen sie im Jahr 1817 freigelegt. Ihre Nase hat sie übrigens nicht wie oft angenommen durch Napoleons Soldaten verloren, sondern bereits 1378 durch einen fanatischen Bilderstürmer.
Mein Fahrrad ist auf dem Hinflug hängengeblieben, wird mir aber gerade noch rechtzeitig nachgeschickt, so dass ich nach zwei Tagen in Kairo endlich nilaufwärts fahren kann - hinein in jenes Abenteuer, vor dem ich so oft gewarnt worden bin.
Mein erster Eindruck: Müll, überall Müll. Die Entsorgung scheint nicht zu funktionieren. Deshalb wird der häusliche Unrat einfach an den Seitenkanälen des Nils abgeladen. Da, wo auch die Wäsche gewaschen und das Gemüse gereinigt wird. Es scheint die Ägypter nicht groß zu stören.
Mein zweiter Eindruck: Polizeikontrollen. Etwa alle fünf Kilometer muss ich einen solchen Posten passieren. Da das Verkehrsaufkommen relativ hoch ist, gelingt es mir meist mich an den wartenden Autos vorbei zu schleichen. Und da, wo ich kontrolliert werde, geht es oft nur um ein kleines Bakschisch (Schmiergeld).
Jetzt aber zu den schönen Seiten: Zwischen den nervigen Polizeikontrollen geht es recht beschaulich zu. Da werden Felder bewässert und Datteln gepflückt, da wird das Geerntete noch auf einem Esel heimgebracht, da scheint die Zeit in einem vergangenen Jahrhundert stehen geblieben zu sein.
Versorgungsprobleme habe ich keine - dank der überaus fruchtbaren Böden des Niltals. Wann immer ich etwas brauche, kann ich es kaufen: ein paar Bananen, eine Orange, eine Flasche Wasser ...
In den Orten werde ich gelegentlich zu einem Glas Tee eingeladen. Hier haben mich zwei Lehrer an ihren Tisch gebeten - und schwupps sind auch andere Männer da, um zu erfahren, welcher Fremdling sich denn da in ihre Stadt gewagt hat.
Nicht ganz so freundlich begegnen mir die Menschen in Maghagha, einem Zentrum der sog. Muslimbrüder, die sich zum Zeitpunkt meiner Reise gerade sehr im Aufwind befinden und wenig später (im Juni 2012) dann mit Muhammad Mursi den ersten ägyptischen Präsidenten aus ihren Reihen stellen. Der Ausgang der Geschichte ist bekannt.
Ich sehe deshalb zu, dass ich weiterkomme - nach El-Minya. Die 220.000-Einwohner-Stadt ist das Zentrum der Provinz Mittelägypten und ein guter Ausgangspunkt für die Erkundung einiger kultureller Highlights. Deshalb buche ich mein Hotelzimmer gleich für zwei Nächte.
Gleich in der Nähe des Hotels gibt es einen Fahrradladen, der mir voller Stolz präsentiert wird. Ich schaue mir die verfügbaren Räder und Ersatzteile mit einem möglichst respektvollen Gesichtsausdruck an, bin aber insgeheim froh, das ich bislang noch keine Panne hatte (wobei es Gott sei Dank auch geblieben ist).
In einer kleinen Shisha-Bar kommt dann zum ersten Mal so etwas wie Urlaubsstimmung auf. Ansonsten ist meine Aufmerksamkeit schon sehr davon in Anspruch genommen, nicht wieder in eine Kontrolle zu geraten und, wenn es passiert, die richtigen Worte und Gesten zu finden.
Die Kulturstätten rund um El-Minya liegen in einer sog. verbotenen Zone. Sie dürfen weder mit privaten Fahrzeugen, noch gar mit einem Fahrrad angefahren werden. Deshalb verbringe ich den nächsten Tag mit Muhammad (links). Er fährt mich mit seinem Auto überall hin. Hier lassen wir uns gerade von einer ziemlich maroden Fähre zum anderen Nilufer übersetzen.
Auch wenn auf den ersten Blick nicht mehr allzu viel zu sehen ist: Das ist einer der bedeutendsten Orte Ägyptens. Denn hier stand einmal der Palast des einflussreichsten und zugleich umstrittensten Pharaos: Echnaton. Genau: Das ist der, der mit der schönen Nofretete verheiratet war.
Eigentlich ist das Fotografieren von Polizisten streng verboten. Bei diesem hier überwog dann aber doch die Eitelkeit. Die meisten seiner Kollegen sind einfache Bauern, die man in eine Uniform gesteckt hat. Ein probates Mittel, um die Arbeitslosigkeit niedrig zu halten und das Volk an den (Polizei-) Staat zu binden.
Auch ein Kulturgut in der Nähe von El-Minya: die über 2.000 Jahre alte Nekropole von Saujet el-Meitin. Unter den Kuppeln verbergen sich Räume für das traditionelle Totenmahl, an dem auch die Verstorbenen teilnehmen. Man gibt ihnen das Essen ganz einfach in den Sarkophag hinein.
Ich sitze wieder auf dem Rad und fahre weiter nilaufwärts. Auf den Feldern ist die Zwiebelernte in vollem Gange. Sie wird zu einem guten Teil von Kindern erledigt - unter der strengen Aufsicht erwachsener Männer. Soviel zum Thema Kinderarbeit ...
Je weiter ich mich vom Nil entferne, umso rückständiger und ärmlicher wird das Leben der Menschen. Unter besonders schwierigen Bedingungen leben die vom Staat benachteiligten und von den radikalen Muslimbrüdern verfolgten koptischen Christen.
Dabei sind die Kopten überdurchschnittlich gut gebildet. Ihr geistliches Zentrum ist Dair al-Muharraq, ein Kloster, das bereits im 4. Jh. gegründet worden ist - der Überlieferung nach an genau der Stelle, an der die Heilige Familie während ihrer Flucht nach Ägypten Unterschlupf gefunden hat.
Einer der Mönche heißt mich freundlich willkommen, zeigt mir das Kloster und erklärt mir, was es bedeutet als Fremder im eigenen Land zu leben und sich dennoch nicht von Hassgefühlen hinreißen zu lassen. Eine eindrucksvolle Begegnung.
Und dann kriegt sie mich doch noch: die Polizei. Ich werde in Gewahrsam genommen und auf eine Wache gebracht. Da man dort jedoch nichts mit mir anzufangen weiß, mache ich mich, nachdem ich von einer Amtsstube zur nächsten geschickt worden bin, wieder davon, ohne dass es jemanden stört.
Das Glück ist jedoch nur von kurzer Dauer. Schon nach wenigen Kilometern werde ich wieder von einem Streifenwagen eskortiert. So geht das zwei ganze Tage lang. Dann auf einmal, von jetzt auf gleich, ist weit und breit kein Polizist mehr zu sehen.
Doch das nächste Ungemach wartet schon. In dieser einfachen Unterkunft verderbe ich mir dermaßen den Magen, dass meine Radtour ein jähes Ende findet. Ich verliere von jetzt auf gleich all meine Kraft und muss mich mit dem Auto nach Luxor bringen lassen.
Mithilfe eine starken Antibiotikums und einer kleinen Fastenkur komme ich dort zumindest soweit wieder auf die Beine, dass ich mir noch die wichtigsten Sehenswürdigkeiten anschauen kann: den Karnak- und den Luxor-Tempel, beide etwa 4.000 Jahre alt, ...
... und natürlich das Tal der Könige. Hier, inmitten der Wüste, wurden die Herrscher des Neuen Reiches (von 1550 bis 1069 v. Chr.) beigesetzt. 64 Gräber wurden mittlerweile entdeckt, darunter das wohl berühmteste Grab der Welt, das des Kinderpharaos Tutanchamun.
Nur eine kleine Wanderung entfernt liegt der imposante Totentempel der Hatschepsut, der einzigen Frau unter den Pharaonen. Sie hat von 1479 bis 1458 v. Chr. regiert und war eine der einflussreichsten Herrschergestalten Altägyptens.
Nach soviel Wüste und Kultur stellt sich ein Gefühl der Sättigung ein. Am liebsten würde ich von Luxor aus direkt nach Hause fliegen. Doch die wenigen Flüge, die es von dort aus gibt, sind für die Kunden der großen Reisegesellschaften gedacht und deshalb für Individualreisende völlig überteuert.
Aber ich weiß mir zu helfen. Ich lasse mich mit einem Kleinbus nach Marsa Alam an der Küste des Roten Meeres bringen. Denn von dort aus kann ich zu recht günstigen Konditionen nach Hause fliegen.
Außerdem gewinne ich so noch einen Eindruck, wie es in der arabischen Wüste aussieht. Denn selbst wenn ich es gewollt hätte: Mit dem Fahrrad hätte ich sie nicht durchqueren dürfen. Auch sie gehört zu den "verbotenen Zonen".
So lande ich schließlich noch einer All-inclusive-Anlage. Da, wo die große Mehrheit ihren Urlaub verbringt - in der Meinung, in Ägypten gewesen zu sein. Wie sehr man sich doch irren kann. Ägypten ist ein reiches und zugleich armes Land, ein freundliches und zugleich abweisendes, in jedem Fall keines, das sich einem in einer solchen Anlage erschließt.
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