Israel




Paradoxerweise ist Israel da am schönsten, wo es am stärksten vom Krieg gezeichnet ist: auf dem Golan. Aber paradox ist in diesem Land vieles. Es ist uralt und hochmodern, religiös und säkular, orthodox und liberal, koscher und halal ...  Ich war im April 2018 in diesem so vielfältigen und zugleich zerrissenen Land unterwegs. 




Meine Route: Von Tel Aviv über Caesarea, den Karmel, Haifa und Akko bis an die Grenze des Libanon. Dann in die Berge Nordgaliläas und zu den Golanhöhen hinauf, hinunter zum See Genezareth und wieder hinauf nach Nazareth. Schließlich durch das Palästinensische Autonomiegebiet (Jenin, Nablus, Ramallah, Betlehem, Hebron) nach Jerusalem und wieder zurück nach Tel Aviv. Strecke mit dem Rad: 793 km. Höhenmeter: 10.862 m.




Los geht's in der Party-Hochburg Tel-Aviv. Richtig schön ist hier (neben dem Strand) lediglich das alte Jaffa, heute ein Stadtteil der 4-Millionen-Metropole. Da die Scharonebene nördlich der Stadt von autobahn-ähnlichen Straßen durchzogen ist, zu denen es kaum eine fahrradfreundliche Alternative gibt, verlasse ich Tel Aviv mit dem Zug und schwinge mich erst kurz vor Caesarea auf den Sattel.




Caesara. Blauer Himmel, Sonne, Kultur! König Herodes der Große (73 - 4 v. Chr.) hat sich hier mit einer gigantischen Hafenstadt ein Denkmal gesetzt - inclusive Königspalast, Pferderennbahn, Amphitheater und Badehaus. Nach ihm hat der römische Statthalter Pontius Pilatus hier residiert. Ich nehme mir viel Zeit für die antike Stätte und fahre dann weiter in Richtung Karmel.



Von dem über 500 m hohen Gebirgszug (ja, hier fließt der erste Schweiß!) habe ich einen herrlichen Blick auf Haifa, die drittgrößte Stadt Israels nach Tel Aviv und Jerusalem.



Inmitten der Stadt der Schrein des Bab, das Zentrum der Bahai-Religion. Umgeben von einer äußerst gepflegten Gartenanlage, die sich über 18 Terrassen erstreckt. Seit 2008 gehören der Schrein und die Gärten zum Weltkulturerbe der UNESCO.



Von Haifa ist es nur ein Katzensprung zur Kreuzfahrerstadt Akko. Mehr noch als die gut erhaltene Ritterfestung beeindruckt mich hier das "Hammam al-Pasha", ein 1780 erbautes Badehaus, das bis in die 1940er Jahre hinein genutzt und dann liebevoll restauriert wurde. Ein Geheimtipp!


Hier geht's nicht mehr weiter. Die weiße Kreideklippe von Rosh HaNikra markiert die Grenze zum Libanon. Ein von den Briten gebauter Eisenbahntunnel, der die Klippe einst durchstieß und Haifa mit Beirut verband, ist seit 1948 außer Betrieb.



Wer weiter will, muss nach Osten ins galiläische Bergland abbiegen. Hier macht das Radfahren in Israel zum ersten Mal so richtig Spaß, denn auf der grenznahen Straße herrscht wenig Verkehr. Ab und zu donnert allerdings ein F15-Geschwader über die Berge hinweg. Ob es nach Syrien unterwegs ist oder nur den Libanesen imponieren will …?




Nach anstrengenden 1.488 Höhenmetern erreiche ich Safed, die "Stadt auf dem Berg", seit Jahrhunderten ein Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit. Ich muss mich sputen, um rechtzeitig vor Beginn des Sabbats (kurz vor Sonnenuntergang) vom Rad zu sein. Denn körperliche Anstrengung ist am Sabbat bekanntlich verboten. Und das wird gerade in Safed sehr ernst genommen. Im Hintergrund ist bereits der gut 1.000 m tiefer gelegene See Genezareth zu erkennen. Doch der erwartet mich erst in drei Tagen …



... denn ich folge zunächst weiter der libanesischen Grenze. Es geht in die Chula-Ebene hinab und weiter nach Dan, wo einer der drei Quellflüsse des Jordan entspringt. Das Land ist hier so fruchtbar, dass schon seit alters her voller Stolz geklagt wird, man könne auf den Äckern nicht mal einen Stein finden, um eine Schlange zu vertreiben. Dafür befinden sich seit 1948 jede Menge Minen im Erdreich. Das Überschreiten des Feldweges in Richtung Libanon wäre auch heute noch lebensgefährlich.



Von einer Krisenregion zur nächsten. Es geht die Golanhöhen hinauf. Das Hochplateau wurde 1967 von Israel annektiert, wird von den meisten Staaten der Welt aber immer noch Syrien zugerechnet. Ich bin also - wenn man so will - zwei Tage in Syrien unterwegs.



Das Mahnmal, an dem ich hier pausiere, erinnert an den Sechs-Tage-Krieg von 1973. Im Hintergrund ist der Grenzübergang Quneitra zu sehen, den allerdings nur UN-Soldaten passieren dürfen. Ansonsten ist die Grenze nach Syrien dicht.




Vom Golan hinunter zum See Genezareth: 1.450 m bergab. Genussradeln pur! Die sanft abfallenden Hänge des Golan sind nicht nur ein hervorragendes Weinbau-Gebiet, es lassen sich auch wunderschöne Wanderungen unternehmen. So paradox es klingt: viele Israelis verbringen ihren Urlaub hier.




Da ist er: der See, an dem Jesus von Nazareth die meiste Zeit seines öffentlichen Wirkens verbracht hat. Tiberias, Magdala, Kafarnaum, Betsaida … für einen Christen sind das bedeutsame Orte. Ich nehme mir zwei Tage Zeit, um sie alle zu besuchen und umrunde den ganzen See dabei.




Am Ufer immer wieder wunderschöne "Freiluftkirchen". Ein Felsblock als Altar, ein paar Baumstämme als Bänke und ein wenig Schatten - mehr braucht es nicht, um hier einen eindrucksvollen Gottesdienst feiern zu können.




Was für ein Kontrast: Nazareth. Die Zeit, da der Heimatort Jesu ein friedliches jüdisches Dörfchen im römisch regierten Galiläa war, ist lange vorbei. Heute wälzt sich das dicht bebaute Stadtgebiet über mehrere Hügel hinweg und ist mit über 100.000 Einwohnern die größte arabische Stadt Israels.




Ob ich wisse, wo ich hinfahre. Ein kurzer Blick in meinen Pass. Und noch der Hinweis, ich solle vorsichtig sein. Dann bin ich drin: in der "Westbank", dem Palästinensischen Autonomiegebiet. Von nun an sind Wachtürme, Mauern und Stacheldraht meine ständigen Begleiter.




Jenin. Ich schaffe es so gerade, die Stadt zu erreichen, bevor sich ein mächtiges Gewitter entlädt. Die nördlichste der Palästinenserstädte ist zugleich die ärmste von allen. Rund 12.000 der 46.000 Einwohner leben noch immer in einem 1953 von der UN errichteten Flüchtlingslager. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 80 %.



Jenin galt lange als Hochburg der al-Aqsa-Brigaden, die  während der 2. Intifada (2000-2005) für eine Reihe von Terroranschlägen verantwortlich waren. Zugleich hat die Stadt zwei großartige Friedensinitiativen hervorgebracht: das "Cinema Jenin" und das "Freedom Theatre". Wer mehr über diese Seite Jenins erfahren möchte, schaue sich den preisgekrönten Dokumentarfilm "Das Herz von Jenin" an.



So beschaulich geht es auf den Straßen im Westjordanland selten zu. Hier mache ich gerade einen Abstecher zu den Ruinen der antiken Stadt Samaria, die dem umliegenden Bergland ihren Namen gab. Auf den Hauptstraßen herrscht reger Verkehr und es gibt nur selten einen Seitenstreifen. Und wo es ihn gibt, da ist er meist von Glassplittern übersät. Fast ein Wunder, dass ich auf der gesamten Tour nicht einen platten Reifen habe.






Nablus, mein nächstes Etappenziel. Die 150.000-Einwohner-Stadt zwängt sich in ein enges Tal, das zwei Berge voneinander trennt. Einer von ihnen ist der Garizim, auf dem immer noch einige der bereits in der Bibel erwähnten Samaritaner leben. 700 Angehörige dieser alten Religionsgemeinschaft gibt es noch insgesamt, etwa 400 von ihnen leben auf dem Garizim.



Vor den Toren von Nablus sind das antike Sichem und der Jakobsbrunnen ausgegraben worden. Während man bei vielen anderen biblischen Stätten nicht mit letzter Sicherheit sagen kann, wo genau sie gelegen haben, sind diese beiden Orte ziemlich authentisch. Über dem Jakobsbrunnen steht heute eine orthodoxe Kirche. Dort gibt es das schöne Ritual, sich das frische Wasser, das der Brunnen noch immer liefert, in den Nacken zu gießen. Gewöhnungsbedürftig, aber sehr erfrischend!



Ramallah. Sitz der Palästinensischen Autonomiebehörde und letzte irdische Ruhestätte des Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Jassir Arafat. Der Besuch seines Mausoleums gehört zum touristischen Pflichtprogramm. Ramallah ist eine erstaunlich liberale Stadt, in der man abends gemütlich ein Bierchen trinken kann - obwohl aus dem ursprünglich christlichen Ort nach 1948 eine mehrheitlich muslimische Stadt geworden ist.



Jerusalem. Welch erhebender Anblick! Ich bin nach meiner Ankunft gleich den Ölberg hinauf gefahren, um diese Aussicht auf die Altstadt mit dem Felsendom (in der Mitte) und der Grabes- bzw. Auferstehungskirche (hinten links) zu genießen. Dann aber bin ich erst einmal weiter nach Betlehem, dem Geburtsort Jesu. Nicht mit dem Rad (das wäre aufgrund der zahlreichen Sperrgebiete und Checkpoints zu umständlich gewesen), sondern mit dem Bus.



Dass die Geburtskirche fast immer voller Touristen sei, hatte ich gehört. Dass die Schlange vor der Geburtsgrotte mit dem berühmten, in den Boden eingelassenen Stern mehr als hundert Meter lang ist, überrascht mich dann aber doch - und schreckt mich ab. Dank eines Insidertipps kann ich immerhin einen kurzen Blick in das Innere der Geburtsgrotte werfen: in der Krypta der benachbarten Katharinenkirche gibt es eine Tür, durch deren Schlüsselloch man direkt in die Grotte schauen kann.



Von Betlehem ist es nicht weit bis Hebron. Hier leben Israelis und Palästinenser auf engstem Raum beieinander und feinden sich tagein tagaus an. Der arabische Souk ist von Stahlgittern und Netzen überspannt, weil israelische Siedler ihn ständig mit Steinen und Müll bewerfen. Umgekehrt müssen die Fenster einer Synagoge aus Panzerglas sein, um die betenden Juden vor palästinensischen Steinewerfern zu schützen.



Überall in Hebron Spuren der Gewalt. Selbst an den Gräbern der Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob, die Juden und Muslimen gleichermaßen heilig sind, will kein Friede einkehren. Auch hier müssen beide Parteien durch Panzerglas und Stacheldraht voneinander getrennt werden.



Zurück in Jerusalem besuche  ich die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Ein Ort des Schreckens ganz anderer Art. Besonders bewegend: das "Denkmal für die Kinder", das an die 1,5 Millionen jüdischen Kinder erinnert, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden.




Und dann natürlich das ganz normale Besichtigungsprogramm: die Klagemauer, der Tempelberg, die Via Dolorosa … Überall stauen sich Touristenströme. Jerusalem ist voll wie lange nicht.



Auch in der Grabeskirche: keine Chance! Schon um 8:00 Uhr morgens bildet sich eine schier endlose Schlange vor dem heiligen Grab. Ich kapituliere und begnüge mich dem Golgothafelsen und dem Salbungsstein, die ebenfalls unter dem Dach der Kirche verehrt werden. - Jerusalem ist höchst interessant, aber auch fürchterlich anstrengend. Nach drei Tagen will ich wieder aufs Rad …




Nein, das bin nicht ich. Das ist Maxim Belkov vom Team Katusha Alpecin. Er kommt mir auf der Strecke von Jerusalem nach Tel Aviv entgegen und ist bergan fast ebenso schnell wie ich bergab. In zwei Tagen beginnt der Giro d'Italia 2018 - in Jerusalem! All die großen Teams sind schon vor Ort und fahren sich warm: Astana, Sunweb, Quickstep, Bora-Hansgrohe … Schon beeindruckend, sie alle aus nächster Nähe zu sehen.


Schließlich meine Zieleinfahrt: nach Tel Aviv. Ein gemütlicher Abend noch in Jaffa, dann ist auch diese Tour zu Ende. Doch die nächste kommt bestimmt ...

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